Dritter Artikel. Die Schlauheit ist eine besondere eigene Sünde.
a) Dies ist nicht der Fall: I. Nach Prov. I.: „Daß Schlauheit verliehen werde den kleinen;“ denn die heilige Schrift führt nicht zu einer Sünde. II. Nach I. Prov. 13.: „Der schlaue thut Alles mit Beratung.“ Liegt also ein guter Zweck vor, so ist die Schlauheit keine Sünde; handelt es sich um einen schlechten Zweck, so ist die Schlauheit dasselbe wie die Klugheit des Fleisches, also keine besondere Sünde. III. Gregor (10. moral. 16.) sagt: „Die Weisheit dieser Welt besteht darin, das innere Herz künstlich zu verhüllen, seine Absicht mit Hilfe von Worten zu verheimlichen; was falsch ist als etwas Wahres darstellen, was wahr ist als falsch erweisen.… Diese Klugheit lernt die Jugend durch Erfahrung; die Kinder werden darin um Geld unterrichtet.“ Dies Alles aber ist nichts Anderes wie Schlauheit; letztere also fällt zusammen mit der Klugheit des Fleisches und somit ist sie keine eigene besondere Sünde. Auf der anderen Seite sagt Paulus (2. Kor. 4.): „Verzichten wir auf das Verborgene der Schande, wandeln wir nicht in Schlauheit und entweihen wir nicht das Wort Gottes.“
b) Ich antworte, in doppelter Weise könne die Vernunft im Bereiche des Spekulativ-Beschaulichen fehlgehen: entweder daß sie zu einer falschen Schlußfolge kommt, welche den äußeren Schein des Wahren hat; oder daß sie von falschen Voraussetzungen ausgeht, welche den Schein des Wahren besitzen, mag nun daraus ein wahrer oder falscher Schluß gezogen werden. So kann im Bereiche des menschlichen Thätigseins der Klugheit eine Sünde ähnlich sein: entweder weil die Thätigkeit der Vernunft auf einen schlechten Zweck bezogen wird, der scheinbar gut ist; und dies ist die Klugheit des Fleisches; — oder weil jemand, mag der zu erreichende Zweck gut oder schlecht sein, nicht guter und der Wahrheit entsprechender Mittel sich zu dessen Erreichung bedient, sondern verstellter und täuschender Mittel; und das ist die Sünde der Schlauheit.
c) I. Nach Augustin (4. cont. Julian. 3.) wird, wie die „Klugheit“ manchmal im schlechten Sinne genommen wird, so die „Schlauheit“ manchmal im guten Sinne gebraucht; denn Beides ist einander ähnlich. Doch eigentlich bedeutet die Schlauheit etwas Schlechtes. II. Der Zweck kann für die Beratung des schlauen gut oder schlecht sein; darauf kommt es nicht an. Denn auch für einen guten Zweck darf man sich nicht falscher Mittel und Wege bedienen. Immer ist da Sünde. III. Gregor spricht an dieser Stelle von Allem, was zur falschen Klugheit gehört; begreift also mit darunter die Schlauheit.
