Zweiter Artikel. Das Recht wird geteilt in Naturrecht und positives Recht.
a) Die Einteilung ist nicht sachgemäß. Denn: I. Was „Natur“ ist, das ist unveränderlich. Alle Regeln des menschlichen Rechtes aber sind in einzelnen Fällen mangelhaft und haben nicht überall maßgebende Kraft. II. „Positives“ Recht wird jenes genannt, welches aus dem menschlichen Willen hervorgeht. Deshalb ist aber etwas nicht „Recht“, weil der Mensch es so will; sonst könnte der Wille des Menschen nicht ungerecht sein. III. Das göttliche Recht ist kein Naturrecht, denn es überragt die menschliche Natur; und es ist kein positives Recht, denn nicht der menschliche Wille ist seine Grundlage. Also ist die gegebene Teilung keine sachgemäße. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (5 Ethic. 7.): „Das politische Recht ist entweder Naturrecht oder gesetzliches,“ d. i. positives.
b) Ich antworte, „Recht“ oder „gerecht“ sei ein Werk, welches im Verhältnisse der Gleichheit zu etwas Anderem steht gemäß einer bestimmten Art und Weise der Gleichheit. In doppelter Weise nun kann solche Gleichheit herrschen: 1. auf Grund der Natur, wenn nämlich jemand so viel giebt, um ebensoviel zu empfangen; und das heißt Naturrecht; — 2. aus Grund eines Vertrages oder Abkommens, wenn jemand sich zufrieden erklärt, daß er nur so und so viel empfängt. Letzteres nun kann auf einem Privatabkommen beruhen; oder auf einem öffentlichen, falls nämlich das ganze Volk zustimmt, daß etwas für entsprechend abgemessen und gleichsam im Verhältnisse der Gleichheit stehend gehalten werde. Ordnet dies nun der Fürst an, dem die Sorge für das Volk übertragen ist, so nennt man dies ein „positives Recht“.
c) 1. Der Natur des Menschen selber entspricht das Veränderliche. Was also natürlich ist für den Menschen, das kann manchmal mangeln. So z. B. ist dies eine gewisse Gleichheit von Natur, daß jemand das einem anderen Anvertraute wieder zurückempfängt. Wäre also die Natur des Menschen immer recht und gerade, so müßte dies immer so beobachtet werden. Manchmal aber ist der menschliche Wille verkehrt; und so kann es kommen, daß das Anvertraute nicht zurückgegeben werden darf, damit der Mensch, dessen Wille verlehrt ist, sich dessen nicht schlecht bediene; wie wenn ein wütender oder ein Staatsfeind die Waffen, die er anvertraut hat, zurückfordert. II. In dem, was an sich nicht widerstreitend ist, kann der menschliche Wille durch Vertrag und Abkommen etwas feststellen; dies ist das positive Recht. Deshalb sagt Aristoteles (l. c.): „Gesetzliches Recht ist, was im Anfange weder so noch anders zu geschehen hat; sondern erst, nachdem das Gesetz erlassen ist, beginnt der Unterschied.“ Was aber an sich dem Naturrechte widerstreitet, kann nie durch den menschlichen Willen gerecht werden; z. B. daß es erlaubt sei zu stehlen, die Ehe zu brechen. Deshalb sagt der Prophet (Isai. 10.): „Wehe denen, die ungerechte Gesetze machen.“ III. Göttliches Recht wird genannt, was von Gott selber veröffentlicht wird. Dasselbe betrifft teils das Naturrecht in allem dem, dessen Gerechtigkeit den Menschen verborgen ist; teils eigene göttliche Einrichtungen und dann ist das was es vorschreibt auf Grund der Vorschrift gerecht, nicht daß es an sich geboten wäre. So besteht also in ihm der nämliche Unterschied wie im menschlichen Rechte. Im göttlichen Gesetze giebt es Vorschriften, weil das Vorgeschriebene an sich gut ist; und Verbote, weil das Verbotene an sich vom Übel ist; — und dann giebt es da Gutes, weil es geboten; und Übles, weil es verboten ist.
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