Dritter Artikel. Das Völkerrecht fällt nicht mit dem Naturrecht zusammen.
a) Das wird bestritten. Denn: I. Nur im Naturrecht kommen alle Menschen überein. „Das Völkerrecht aber,“ sagt Ulpianus (lib. 9. ff. de jur. et just.), „ist jenes Recht, dessen alle Menschen sich bedienen.“ II. Die Knechtschaft unter den Menschen ist mit der Natur gegeben, nach 1 Polit. 3. Sie gehört aber zum Völkerrecht, nach Isidor (5 Etymol. 6.) III. Das Völkerrecht ist nicht ein positives Recht; also ist es Naturrecht. Auf der anderen Seite schreibt Isidor (c. 6.): „Das Recht ist entweder Naturrecht, oder positives oder Völkerrecht.“
b) Ich antworte; von Natur gerecht ist das, was von Natur eine gewisse Gleichheit oder ein etwas Anderem entsprechendes Maß hat. Das kann aber der Fall sein: 1. schlechthin, wie der Mann von Natur dem Weibe entspricht, daß er von selbigem einen Menschen erzeuge; und wie für den Vater es von Natur gerecht ist, daß er sein Kind ernähre; — 2. nicht schlechthin oder absolut, sondern auf Grund dessen, was daraus folgt, wie z. B. das Eigentum am Besessenen. Denn wird dieser bestimmte Acker z. B. an sich, schlechthin, betrachtet, so gehört er von sich aus weder dem einen noch dem anderen. Wird er aber mit Rücksicht auf den Nutzen betrachtet, der daraus folgt daß er bebaut und gepflegt wird; danach hat er von sich aus eine gewisse Anlage dafür, daß er vielmehr dem einen gehöre wie dem anderen und nicht freies Gut sei. (2 Polit. 3.) Schlechthin nun etwas erfassen ist dem Menschen ebensogut eigen wie den übrigen sinnbegabten Wesen. Das Naturrecht also nach der ersten Auffassung ist allen sinnbegabten Wesen gemeinsam. „Das Völkerrecht ader ist nicht allen sinnbegabten Wesen, sondern nur den Menschen gemeinsam.“ (Ulpian I. c.) Denn etwas erfassen, indem man erwägt was daraus folgt, ist allein der Vernunft eigen. Deshalb sagt der Rechtserfahrene (lib. 9. ff. de jur. et just.): „Was die Vernunft, soweit sie der Natur folgt, für alle Menschen festgestellt hat, das wird von allen gleichmäßig beobachtet und heiß: Völkerrecht.“
c) I. Damit beantwortet. II. Daß diese Person „Knecht“ sei vielmehr wie jene, das hat keinen Grund in der Natur schlechthin, sondern nur in Anbetracht eines daraus folgenden Nutzens; insoweit es dem einen mehr zukommt, wie dem anderen, von einem Weiseren gelenkt und unterstützt zu werden, nach 1 Polit. 5. Demnach also ist die Knechtschaft, soweit sie zum Völkerrecht gehört, etwas Natürliches nach der an zweiter Stelle gegebenen Auffassung; nicht nach der an erster Stelle. III. Allerdings sind die Völker niemals übereingekommen, um ein Völkerrecht vertragsweise herzustellen, und somit ist das Völkerrecht kein positives. Aber kraft ihrer Natur hat die Vernunft es in sich, die Folgerungen zu ziehen, die im Völkerrechte niedergelegt sind.
