Dritter Artikel. Die Gerechtigkeit ist eine Tugend.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Luk. 17. sagt der Herr: „Wenn ihr Alles gethan habt, was ihr thun müßt, sprechet, wir sind unnütze Knechte.“ Ein Tugendwerk thun aber ist durchaus nichts Unnützes. Ambrosius nämlich schreibt (2. offic. 6.): „Nicht den Nutzen zeitlichen Gewinnes sollen wir so sehr schätzen, wie die Erlangung der Tugend.“ Also wenn jemand thut was er thun muß, nämlich aus Gerechtigkeit, so ist dies keine Tugend. II. Jedem das Seine zu teil werden lassen, gehört der Notwendigkeit an. Also ist es nicht verdienstvoll und somit kein Tugendakt. III. Jede moralische Tugend beschäftigt sich mit Handlungen. Was aber außen hergestellt wird, das ist nicht Gegenstand des Handelns, sondern des Machens, wie der Schmied die Säge macht. (9 Metaph ) Da nun die Gerechtigkeit ein Werk vollbringt, was außen, an und für sich betrachtet, gerecht ist; so ist die Gerechtigkeit keine moralische Tugend. Auf der anderen Seite zählt Gregor (3. moral. 26.) unter die vier Kardinaltugenden, „aus denen der ganze Bau des guten Werkes aufsteigt“, die Gerechtigkeit.
b) Ich antworte, die Gerechtigkeit mache die Thätigkeit des Menschen zu einer guten. Denn sie regelt dieselbe nach der gebührenden Richtschnur des vernünftigen Gleichmaßes mit Beziehung auf den anderen; weshalb Cicero sagt, „infolge der Gerechtigkeit würden die Menschen vorzugsweise als gute bezeichnet.“ (1. de offic.) Also macht die Gerechtigkeit das Werk des Menschen und diesen selber zu einem guten; und ist somit eine Tugend.
c) I. Jenem, dem der Mensch das giebt, was ihm gebührt, nützt er nichts; sondern entfernt nur dessen Schaden. Sich selbst aber nützt er, wenn er gern und von freien Stücken thut, was er soll. Deshalb sagt Sap. 8.: „Die Weisheit Gottes lehrt Mäßigkeit und Gerechtigkeit; … und nichts ist nützlicher als dieses.“ II. Die Notwendigkeit, welche aus dem Zwange folgt, ist nicht verdienstvoll. Die Notwendigkeit, welche aus den Geboten ersteht oder aus dem Bedürfnisse, den Zweck zu erreichen, ist verdienstvoll, wenn jemand freiwillig demgemäß handelt. Freilich ist da nichts Überfließendes von Verdienst, kein supererogatorium; wie Paulus sagt: „Wenn ich euch das Evangelium predige, so ist mir das kein Ruhm; denn die Notwendigkeit drängt.“ (1. Kor. 9.) III. Die Gerechtigkeit macht nicht das Andere, was außen ist, so wie die Kunst dies thut; sondern sie bedient sich dessen, was objektiv, von außen her, bereits geregelt ist.
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