Zweiter Artikel. Die Gerechtigkeit schließt immer die Beziehung zu einem anderen in sich ein.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Röm. 3. heißt es: „Die Gerechtigkeit Gottes ist durch den Glauben Jesu Christi.“ Der Glaube aber schließt nicht ein die Beziehung zu einem anderen. II. Nach Augustin (de morib. Eccl. 15.) „gehört es zur Gerechtigkeit, daß wer Gott dient gut vorstehe dem Übrigen, was dem Menschen unterworfen ist.“ Nun ist dem Menschen unterworfen sein sinnliches Begehren, nach Gen. 4.: „Unter dir wird das Begehren danach,“ nach der Sünde nämlich, „sein; und du wirst darüber herrschen.“ Also gehört es zur Gerechtigkeit, dem eigenen Begehren zu gebieten; und so richtet sich die Gerechtigkeit auf die eigene Person. III. Die Gerechtigkeit Gottes ist ewig. Kein anderes Wesen aber ist ewig. Also gehört es nicht zum Wesen der Gerechtigkeit, die Beziehung zu einem anderen in sich einzuschließen. IV. Wie das Thätigsein, was sich auf den anderen richtet, so bedarf auch das Thätigsein, was sich auf die eigene Person richtet, der leitenden, respektive bessernden Richtschnur. In der Gerechtigkeit aber liegt diese Richtschnur vor, nach Prov. 11.: „Die Gerechtigkeit des schlichten Mannes lenkt seinen Weg.“ Also erstreckt sich die Gerechtigkeit auch auf die eigene Person. Auf der anderen Seite sagt Cicero (1. de offic.): „Der Wesenscharakter der Gerechtigkeit besteht darin, daß durch sie die gesellschaftliche Ordnung unter den Menschen und ihre Gemeinschaft aufrecht gehalten wird.“ Dies schließt aber die Beziehung zum anderen ein. Also.
b) Ich antworte, nichts sei gleich sich selber, sondern immer einem anderen; also wesentlich schließt die Gerechtigkeit, deren Natur Gleichmaß besagt, in sich ein die Beziehung zu einem anderen. Und weil die Gerechtigkeit die menschlichen Thätigkeiten leiten, respektive messen soll, so ist diese Gleichheit jene, welche von der Verschiedenheit der thätigseienden bedingt ist. Das Thätigsein aber gehört so recht eigentlich der Person oder dem Fürsichbestehenden an; denn nicht die Hand z. B. schlägt sondern der einzelne Mensch vermittelst der Hand, und nicht die Wärme wärmt sondern das Feuer durch die Wärme. Also besagt die Gerechtigkeit so recht eigentlich die Verschiedenheit der Personen oder der Fürsichbestehenden; und nur insoweit in dem einen Menschen mehrere Principien des Thätigseins sind, wie die Vernunft, die Abwehr-, die Begehrkraft, ist von einer Gerechtigkeit des Menschen gegenüber sich selbst, einer gewissen Analogie oder Ähnlichkeit zufolge, die Rede. Danach soll die Vernunft befehlen und die sinnlichen Kräfte gehorchen. (5 Ethic. ult.)
c) I. Die Gerechtigkeit, welche der Glaube herstellt, ist jene in der Rechtfertigung des Sünders, wodurch die Vermögen der Seele an sich zu einander in die gebührende Ordnung gebracht werden, daß sie der Vernunft Unterthan seien. Das ist die Gerechtigkeit im metaphorischen oder analogischen Sinne, II. Damit beantwortet. III. Die Gerechtigkeit Gottes ist dem Willen und dem Vorsatze nach ewig; und dies ist die Wurzel aller Gerechtigkeit, obgleich die Wirkung erst in der Zeit eintritt. IV. Die Thätigkeiten des Menschen rücksichtlich seiner selbst werden durch die anderen moralischen Tugenden hinreichend geregelt, welche den Leidenschaften Zügel anlegen. Die Thätigkeiten zu einem anderen hin bedürfen einer eigenen Regelung, nämlich durch die Gerechtigkeit.
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