Dritter Artikel. Im eigentlichen 5inne kann niemand mit freiem willen Ungerechtem leiden.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. „Ungerechtes“ will heißen „Ungleichmäßiges“. Es kann aber jemand sich selbst eben so freiwillig verletzen und so von der Gleichmäßigkeit abweichen wie er einen anderen verletzen kann. Also kann jemand mit freiem Willen sich selber Unrecht thun. II. Nur wegen einer Ungerechtigkeit wird jemand gemäß dem bürgerlichen Rechte bestraft. Selbstmörder aber werden nach manchen bürgerlichen Gesetzen mit der Verweigerung eines ehrbaren Begräbnisses bestraft; wie Aristoteles sagt. (5 Ethic. ult.) Also besteht da ein freiwillig erlittenes Unrecht. III. Es trifft sich zudem oft, daß jemand einem anderen Unrecht thut, weil dieser so will; wenn er z. B. ihm eine Sache teuerer verkauft als sie Wert hat. Auf der anderen Seite thut niemand Unrecht außer freiwillig. Unrecht leiden aber ist dem entgegengesetzt was da ist: Unrecht thun. Also leidet niemand Unrecht außer gegen seinen Willen.
b) Ich antworte, das Thätigsein gehe dem Wesen nach aus vom thätigseienden; leiden aber geht ebenso dem Wesen nach aus von einem anderen als dem leidenden. Also kann ein und derselbe nicht nach der nämlichen Seite hin leidend und thätig zugleich sein. Das Wollen aber ist im Menschen Princip für das Thätigsein. Was also der Mensch im eigentlichen Sinne, an und für sich, gemäß seinem Willen thut, darin ist er thätig; und was er leidet, das leidet er abgesehen von seinem Willen. Denn soweit er will, ist er von sich selbst aus Princip; und danach ist er mehr thätig als leidend. Unrecht thun also kann niemand außer freiwillig; und Unrecht leiden kann ebenso niemand außer unfreiwillig. Unabsichtlich aber, also für die moralische Handlung in nebensächlicher Weise, kann jemand das thun, was an sich betrachtet Unrecht ist; und in eben solcher Weise kann er freiwillig Unrecht leiden, wie wenn er mit seinem Willen dem anderen mehr giebt als er muß.
c) I. Giebt jemand freiwillig dem anderen mehr als er muß, so thut er sich selber kein Unrecht. Denn kraft seines Willens besitzt er das, was er hat. Es tritt dies also nicht aus dem gleichen gebührenden Verhältnisse heraus, wenn jemandem mit seinem freien Willen etwas entzogen wird, sei es von seiten seiner selbst sei es von einem anderen. II. Was eine einzelne Person als einzelne an sich selber thut, kann den Charakter der Unmäßigkeit tragen oder den der Unklugheit oder anderer Sünden; aber nicht den der Ungerechtigkeit, da wie die Gerechtigkeit so die Ungerechtigkeit immer die Beziehung zu einem anderen einschließt. Die einzelne Person kann aber auch betrachtet werden als ein Glied des Gemeinwesens oder als Kreatur und Bild Gottes; und so thut jener, der sich selbst tötet, dem Gemeinwesen ein Unrecht an und beleidigt Gott. Danach alss wird er dann gemäß göttlichem und menschlichem Gesetze gestraft; wie der Apostel dies vom unkeuschen sagt: „Wenn jemand den Tempel Gottes entweiht, den wird Gott verderben.“ III. Leiden will die Wirkung einer Thätigkeit von außen her besagen. Soweit aber Unrecht thun oder Unrecht leiden in Betracht kommt, wird das bestimmbare, materiale Moment von dem hergenommen was von außen her auf die eigene Person einwirkt; das bestimmende, formale Moment jedoch vom Willen des wirkenden oder leidenden Menschen. Daß also jemand Unrecht thut und ein anderer Unrecht leidet, das ist mit Rücksicht auf das bestimmbare, materiale Moment immer beisammen. Mit Bezug auf das bestimmende, formale Moment aber kann jemand Unrecht thun mit der Absicht, Unrecht zu thun; wogegen der andere kein Unrecht leiden wird, weil er freiwillig es leidet. Und umgekehrt kann jemand Unrecht leiden, wenn er gegen seinen Willen leidet was Unrecht ist; wogegen jener, der ohne es zu wissen dieses Unrecht thut, an sich nicht Unrecht thut, sondern nur im materialen Sinne gleichsam den Stoff hinstellt, der Unrecht in sich schließt.
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