Zweiter Artikel. Im Bereiche der kirchlichen Ämter kann sich ebenfalls diese Sünde des Ansehens der Personen finden.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Jemandem eine kirchliche Pfründe geben, weil er ein blutsverwandter ist, scheint dasselbe zu sein, wie die Personen ansehen. Das scheint aber keine Sünde zu sein, da dies seitens der kirchlichen Oberen täglich geschieht. II. Den Reichen dem Armen vorziehen heißt die Person ansehen, nachJakob. 2. Leichter aber wird z. B. bei Ehehindernissen dispensiert, wenn es sich um Mächtige und Reiche handelt als wenn Arme in Betracht kommen. Also ist da keine Sünde. III. Nach den Bestimmungen des Rechtes genügt es, einen Guten für ein kirchliches Amt zu erwählen; es ist nicht erfordert, daß man den Besseren nimmt. Einen minder Guten aber erwählen für ein höheres Amt ist dasselbe wie die Person ansehen. IV. Nach den kirchlichen Bestimmungen (cap. Cum dilectus de Electione) soll aus dem Kapitel der betreffenden Kirche jemand gewählt werden. Das aber heißt die Person ansehen, da anderswo Bessere gehabt werden können. Also ist im Bereiche des Geistigen oder Kirchlichen es keine Sünde, die Person „anzusehen“. Auf der anderen Seite sagt der Apostel Jakobus (2, 1.): „Nicht im Ansehen der Personen sollt ihr den Glauben unseres Herrn Jesu Christi haben;“ wozu Augustin (ep. 167. ad Hier.) bemerkt: „Wer soll dies ertragen, wenn jemand den reichen erwählt, um den Ehrensitz der Kirche einzunehmen, und den armen, der aber heiliger und unterrichteter ist, verachtet?“
b) Ich antworte, um so schwerer sei die Sünde des Ansehens der Person im Bereiche des Geistigen, je verantwortungsvoller die Verwaltung der geistigen Interessen ist wie die der zeitlichen. Nun kann die Würde einer Person in zweifacher Weise berücksichtigt werden: 1. schlechthin und an und für sich; so hat größere Würde, wer heiliger ist, also an Gnadengaben mehr besitzt; — 2. mit Rücksicht auf das Gemeinbeste; so kann der minder Heilige und minder Unterrichtete oft mehr beitragen zum Gemeinbesten, sei es wegen der zeitlichen Macht oder wegen der Erfahrenheit in zeitlichen Dingen oder dergleichen. Und weil die Verwaltung der geistigen Dinge zum Zwecke hat den Gemeinnutzen, nach 1. Kor. 12.: „Einem jeden wird der Geist gegeben zum Nutzen“ (aller); — deshalb kann, ohne daß die Person angesehen würde, im Bereiche des Geistigen manchmal jener, der schlechthin minder heilig und minder unterrichtet ist, vorgezogen werden anderen, die sonst besser sind. So giebt ja auch Gott die zum Besten aller verliehenen Gnaden (gratis datas) bisweilen jenen, die minder gut sind.
c) I. Sind die blutsverwandten der kirchlichen Vorsteher schlechthin weniger würdig und ebenso mit Rücksicht auf das Gemeinbeste, so ist die Verleihung kirchlicher Ämter an sie die Sünde des Ansehens der Person; denn der Vorsteher ist nicht Herr und Meister, sondern Verwalter des Kirchlichen, nach 1. Kor. 4.: „So soll jeder Mensch uns erachten wie Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes.“ Sind solche blutsverwandte gleich würdig wie andere, so können sie anderen ohne die Sünde des Ansehens der Person vorgezogen werden; denn sie stehen darin anderen voran, daß der Obere vertraulicher und somit besser mit ihnen die kirchlichen Dinge beraten kann. Nehmen jedoch andere daran ein Beispiel, ebenfalls kirchliche Güter, abgesehen von allem Verdienste der Person, blutsverwandten zu geben; muß wegen des Ärgernisses ein solches Verleihen unterlassen werden. II. Die Dispens in Ehesachen wird zumeist erteilt, um den Bund des Friedens zu befestigen; und dies ist mit Rücksicht auf hervorragende Personen für den gemeinen Nutzen notwendiger, so daß da leichter und zwar ohne die Sünde des Ansehens der Personen dispensiert wird. III. Mit Rücksicht nur auf das öffentliche Recht kann ein Gut ererwählt und der Bessere beiseite gelassen werden; sonst gäbe es des Streites und der Prozesse und der Verleumdungen kein Ende. Mit Rücksicht auf das innere Gewissen muß der gewählt werden, den man für besser hält entweder schlechthin oder mit Rücksicht auf das Gemeinbeste. Denn ist eine Ursache da, den minder Guten vorzuziehen, so ist er nach einer gewissen Seite hin der Bessere; ist keine Ursache da, die sich auf die objektive Sachlage bezieht, so besteht da ein „Ansehen der Person“. IV. Wer aus dem Schoße der betreffenden Kirche selber genommen ist, pflegt nützlicher zu sein für das Gemeinbeste; denn er liebt mehr die Kirche, in welcher er aufgezogen worden. So heißt es: „Du sollst keinen, der einem anderen Volke angehört, zum Könige machen, der nicht dein Bruder ist.“ (Deut. 17.)
