Erster Artikel. Die Person ansehen ist Sünde.
a) Das scheint nicht. Denn: I. „Person“ heißt „Würde“. Gemäß der Würde und Stellung gerade der Personen aber verfährt die verteilende Gerechtigkeit. II. Personen sind im Bereiche des Menschlichen hervorragender wie die Dinge. Ein Ding aber nach seinem Werte mehr schätzen wie ein anderes ist nicht Sünde. Also kann man auch die Personen als solche ansehen. III. Gott, unser erstes Vorbild, sieht die Personen an; denn „zwei werden sein auf dem Acker; und der eine wird aufgenommen, der andere zurückgelassen werden“ (Matth. 24.); — d. h. der eine von zwei Menschen erhält die Berufung zum ewigen Leben und der andere wird in der Sünde liegen gelassen. Auf der anderen Seite heißt Deut. 1. es: „Die Person keines Menschen sollt ihr ansehen.“ Also ist die Person ansehen eine Sünde.
b) Ich antworte, die Person ansehen sei entgegengesetzt der verteilenden Gerechtigkeit. Denn das dieser entsprechende Gleichmaß besteht darin, daß den verschiedenen Personen Verschiedenes zugeteilt wird gemäß dem Verhältnisse zu den Würden und Stellungen der Personen. Zieht also jemand die höhere Stellung oder die Würde in Betracht, infolge deren einer Person das zugeteilt wird was man ihr verleiht; so ist das kein Ansehen der Person, sondern ein Erwägen der Ursache. Deshalb sagt die Glosse zu Ephes. 6. (Non est personarum acceptio apud Deum): „Gott macht als gerechter Richter einen Unterschied zwischen den Ursachen, nicht zwischen den Personen.“ So wird, wenn jemand einen anderen zum Lehramte befördert wegen seiner großen Wissenschaft, die gebührende Ursache berücksichtigt; nicht die Person. Zieht aber jemand im anderen, dem etwas zugeteilt wird, nicht das Verhältnis dessen in Betracht, was verliehen wird, zu dem, weshalb es dem betreffenden verliehen wird, sondern nur daß es dieser Mensch gerade ist (Peter oder Martin) und nicht ein anderer; so heißt dies die Person ansehen. Denn in diesem Falle wird dem betreffenden nicht das Bestimmte verliehen, weil in ihm eine Ursache sich findet, die ihn würdig macht; sondern nur weil er dieser und nicht jener ist. Alles aber, was nicht eine solche Ursache im Menschen vorstellt, infolge deren er würdig des Verliehenen erscheint, gehört zu diesem Begriffe „Person“; wie wenn jemand nämlich den anderen zum Lehr- oder zum Vorsteheramte befördert, weil er reich oder weil er blutsverwandt ist, dies ein „Ansehen der Person“ bedeutet. Freilich trifft es sich, daß manche Eigentümlichkeit in einer Person sie würdig macht für das Eine, die sie nicht würdig macht für das Andere; wie die Blutsverwandtschaft jemanden würdig macht, Erbe des väterlichen Besitzes zu werden, nicht aber, ein kirchliches Amt zu erhalten. Und sonach begründet die nämliche Eigenschaft der Person für das Eine das „Ansehen der Person“ und für Anderes nicht. Danach also ist klar, „die Person ansehen“ stehe darin der verteilenden Gerechtigkeit entgegen, daß das entsprechende Verhältnis nicht gewahrt wird. Nur aber die Sünde ist einer Tugend entgegengesetzt. Also ist „die Person ansehen“ eine Sünde.
c) I. Die Ursache in einer Person wird von der verteilenden Gerechtigkeit mit Rücksicht auf das zu Verteilende erwogen; beim Ansehen der Person aber werden Eigentümlichkeiten in Betracht gezogen, die keinerlei solche Ursache in sich enthalten. II. Wenn die Person als Person und nicht wegen eines in ihr befindlichen Vorzuges beachtet wird, so steht das nicht im Verhältnisse zu dem, was verliehen werden soll; und somit mögen immerhin die Personen würdiger sein als die Dinge schlechthin, mit Rücksicht auf das zu Verteilende sind sie es im bestimmten Falle nicht. III. Das Ansehen der Person bezieht sich auf das, was jemandem gegeben wird, nur weil er diese oder jene Person ist und nicht weil esdem in ihm befindlichen Vorzuge geschuldet würde. Ein anderes Geben aber erstreckt sich auf das, was aus reiner Freigebigkeit und nicht, weil es geschuldet wäre, verliehen wird; wie dies die Gnadengaben sind, kraft deren die Sünder von Gott aufgenommen werden. Darin kann sich ein Ansehen der Person gar nicht finden; denn jeder kann ohne Ungerechtigkeit von dem Seinigen geben, was er will und wem er will; nach Matth. 20.: „Oder ist es mir nicht erlaubt zu thun was ich will? Nimm was dein ist und gehe.“
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