Siebenter Artikel. Im Falle der äußersten Not darf man stehlen.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Extra de furtis can. 3. heißt es: „Wer aus Hunger oder wegen seiner Nacktheit Speisen, Kleider etc. gestohlen hat, soll Buße thun durch drei Wochen hindurch.“ II. 2 Ethic. 6. wird der Diebstahl als ein Übel an sich hingestellt. Ein solches kann aber durch keinen guten Zweck etwas Gutes werden. III. Der Mensch soll seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Es ist aber nicht erlaubt zu stehlen, damit man dem Nächsten zu Hilfe komme; wie Augustin sagt (de mendacio cap. 7.). Also ist dies auch nicht gestattet in der eigenen Not. Auf der anderen Seite ist in der äußersten Not Alles gemeinsam. Also ist dies keine Sünde, wenn jemand das dem anderen Gehörige an sich nimmt auf Grund der Not, welche dieses zu etwas Gemeinsamen gemacht hat.
b) Ich antworte; das menschliche Recht kann das nicht entbehrlich machen, was vom Naturgesetze oder von dem göttlichen vorgeschrieben ist. Nach der von der göttlichen Vorsehung festgesetzten Ordnung aber dienen die niedrigeren Dinge dazu, daß durch sie der Not des Menschen gesteuert wird. Also keine Teilung und Zueignung der Güter, wie sie vom menschlichen Rechte kommt, kann dem sich entgegenstellen, daß derartige Dinge des Menschen Not heben. Und deshalb gebührt nach natürlichem Rechte der Überfluß der Reichen dem Unterhalte der Armen. Deshalb sagt Ambrosius (serm. 64. de temp.): „Der hungernden Brot hältst du bei dir fest; den nackten gehören die Kleider, welche du in deinen Schränken einschließest; der unglücklichen Erlösung und Befreiung ist das Geld, welches du in die Erde vergräbst.“ Weil ader viele notleiden und nicht das Vermögen eines einzelnen allen beistehen kann, ist es dem Urteile eines jeden überlassen, das Seinige so zu verwalten, daß er den armen, notleidenden beisteht. Nur wenn die Not so groß und so dringend ist, daß es offenbar vorliegt, man müsse mit allen beliebigen Dingen, von welcher Seite sie auch immer herkommen, Beistand leisten (z. B. wenn Todesgefahr droht und eine andere Hilfe nicht erscheint); dann ist es erlaubt, heimlich oder mit Gewalt aus fremdem Gute zu entnehmen und zu Hilfe zu kommen. Dies hat dann nicht mehr den Charakter eines Diebstahls oder Raubes.
c) I. Jene Bestimmung spricht von einem Falle, wo keine dringende Not vorliegt. II. Fremdes Gut gebrauchen in der äußersten Not ist kein Diebstahl. Denn diese Not macht das betreffende Gut zu einem gemeinsamen und somit zum eigenen, dem Unterhalte dienenden. III. Im äußersten Notfalle kann jemand auch in der genannten Weise dem Mitmenschen helfen.
