Zweiter Artikel. Das Zeugnis zweier oder dreier ist hinreichend.
a) Dagegen spricht: I. Das Urteil setzt Gewißheit voraus. Zwei Zeugen aber begründen keine zuverlässige Gewißheit, wie das Beispiel Naboths beweist, der wegen zwei falscher Zeugen verurteilt worden ist. (2. Kön. 21.) II. Damit das Zeugnis glaubwürdig sei, muß es einmütig sein. Die Zeugnisse zweier oder dreier aber weichen immer in etwas voneinander ab. Also sind sie nicht wirksam, um vor Gericht die Wahrheit zu beweisen. III. 2 Qq. 4. cap. 11.: „Ein Bischof werde nicht verurteilt außer auf Grund von zweiundsiebzig Zeugen; ein Kardinalpriester nur auf Grund von vierundsechzig; ein Kardinaldiakon, wenn siebenundzwanzig Zeugen da sind; für den Subdiakon, Akolythen, Exorcisten, Lektor, Ostiarier müssen sieben Zeugen da sein, soll er verurteilt werden.“ Minder aber ist die Sünde zu ertragen, je höher der Sünder in semer Würde steht. Also genügt auch für die anderen nicht die Zahl zwei oder drei. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 17, 6.: „Auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen hin soll zu Grunde gehen jener, der getötet werden wird;“ und Deut. 19.: „In der Aussage von zwei oder drei Zeugen soll jegliches Wort aufrechtstehen.“
b) Ich antworte, im Bereiche des menschlichen Handelns, worauf sich ja das gerichtliche Vorgehen erstreckt, sei keine Gewißheit schlechthin, wie sie der metaphysische Beweis ergiebt, zu suchen; und somit genüge da eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die für gewöhnlich und in den meisten Fällen das Wahre trifft, bisweilen aber auch derselben ermangelt. Nun ist es wahrscheinlich, daß das, was mehrere aussagen, weit eher die Wahrheit erreicht, als wie das, was nur einer sagt. Und somit, da einer es ist, der leugnet, der verklagte nämlich, und mehrere Zeugen aussagen, wie der Ankläger, ist es vernünftigerweise so eingerichtet, daß man sowohl mit Rücksicht auf das göttliche wie auf das menschliche Recht vielmehr sich an die Aussagen der Zeugen hält. Jegliche Mehrheit aber ist in dreien enthalten, nämlich im Anfang, in der Mitte und im Abschlüsse: „Jegliches Ganze setzen wir in drei Dinge,“ sagt Aristoteles. (1. de coelo.) Wenn also zwei Zeugen übereinkommen mit dem Ankläger, so ist da die Dreizahl; und sonach ist für die Zeugen die Zweizahl erfordert oder behufs größerer Gewißheit die Dreizahl als vollendete Mehrheit in diesen Zeugen. Deshalb heißt es Ekkle. 4.: „Ein dreifach gewundenes Seil reißt schwer;“ und Augustin sagt (tract. 36. in Joan.): „Darin ist die Dreieinigkeit als Geheimnis angedeutet, in welcher die beständige Festigkeit der Wahrheit ist.“
c) I. So groß die Zahl der Zeugen auch immer sein mag, ihr Zeugnis kann manchmal ein ungerechtes sein, nach Exod. 23.: „Folge nicht der Menge, um Übles zu thun.“ Wenn man aber in diesen Dingen keine ganz gewisse Wahrheit zu haben vermag, so darf man doch nicht die wahrscheinliche Wahrheit vernachlässigen, wie solche aus zwei oder drei Zeugenaussagen sich ergeben kann. II. Sind die Zeugen uneins in wesentlichen Umständen, welche die Substanz der Sachlage verändern, wie in der Zeit, im Orte, in den Personen, um die es sich in erster Linie handelt; — so schwindet damit die Wirksamkeit des Zeugnisses. Denn es scheint dann jeder für sich Zeuge zu sein in einem besonderen, von dem der anderen verschiedenen Falle. Spricht nämlich z. B. der eine von dieser Zeit, der andere von jener, so scheinen verschiedene Thatsachen für beide vorzuliegen. Besteht also eine derartige Uneinigkeit unter den Zeugen des Anklägers einerseits und des schuldigen andererseits, so wird zugunsten des schuldigen entschieden; denn geneigter muß der Richter sein freizusprechen wie zu verurteilen. Besteht aber Uneinigkeit unter den Zeugen ein und derselben Partei, so muß der Richter, sei es auf Grund der Zahl oder der Stellung der Zeugen, sei es aus der Lage der betreffenden Sache oder auf Grund der Aussagen, entscheiden, welcher Partei er recht geben soll. Um so mehr nun wird das Zeugnis eines einzigen zurückgewiesen, wenn dieser eine mit sich selber in seinen Antworten über das, was er weiß und was er gesehen, nicht übereinstimmt. Besteht aber sine Uneinigkeit in Nebenumständen, ob z. B. das Wetter heiter war oder der Himmel bewölkt, ob das Haus bemalt war oder nicht, so thut das dem Zeugnisse keinen Eintrag. Denn rücksichtlich solcher Dinge giebt der Mensch nicht viel acht, so daß sie leicht dem Gedächtnisse entfallen. Vielmehr macht ein geringer Mangel an Übereinstimmung die Zeugnisse glaubwürdiger (Chrysost. hom. 1 in Matth.). Wenn sie nämlich ganz gleich wären, so würde man meinen, es sei vorher abgesprochen worden; allerdings bleibt dies der Klugheit des Richters überlassen zu entscheiden. III. Dies ist speciell in der Römischen Kirche festgestellt aus drei Gründen: 1. weil zu derartigen Würden solche Männer erhoben werden müssen, deren Heiligkeit mehr geglaubt wird wie vielen Zeugen; — 2. weil solche Würdenträger, die über Vieles urteilen müssen, auch viele Gegner haben, so daß man nicht jedem Zeugen, sondern erst einer gewissen Menge derselben Glauben schenken darf; — 3. weil aus der Verurteilung solcher Männer die Würde und das Ansehen der Römischen Kirche leidet; — und das ist gefährlicher, wie in ihr einen Sünder ertragen, wenn derselbe nicht in hohem Grade öffentlich und offenbar ist, so daß ein großes Ärgernis zu fürchten wäre.
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