Dritter Artikel. Das Zeugnis manches einzelnen Menschen ist ohne seine Schuld abzulehnen.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Daß sie kein öffentliches Zeugnis ablegen können, ist für einzelne Menschen eine Strafe. Die Strafe aber setzt Schuld voraus. II. Man soll von jedem Gutes denken. Dazu gehört aber, daß man nicht von vornherein von jemandem annimmt, er werde falsches Zeugnis ablegen. III. Zeugnis ablegen gehört zu dem zum Heile Notwendigen. Dazu wird aber niemand ungeeignet außer durch die Sünde. Also. Auf der anderen Seite sagt Gregor (ep. 56.): „Du sagst, ein Bischof sei von seinen eigenen Knechten verklagt worden, wisse, diese Knechte hätte man nicht anhören sollen.“
b) Ich antworte, ein Zeugnis bedinge nur eine wahrscheinliche Gewißheit. Was also auch immer geeignet ist, für die Wahrscheinlichkeit des Gegenteils zu wirken, macht das Zeugnis wirkungslos. Nun wird es als wahrscheinlich betrachtet, daß jemand im Zeugen für die Wahrheit nicht fest sei: 1. infolge einer Schuld, wie die ungläubigen und ehrlosen; — 2. ohne Schuld infolge des Mangels an Vernunft, wie Kinder und Schwachsinnige; — 3. infolge von naher Verwandtschaft oder offenbarer Feindschaft oder infolge von Dienstverhältnissen; — 4. infolge der äußeren Lage, wie die Bettler, Knechte, von denen man annehmen kann, daß sie leicht zu kaufen sind.
c) I. Das Verbot für jemanden, Zeugnis abzulegen, ist nicht so sehr Strafe wie Vorsicht; damit falsches Zeugnis vermieden werde. II. Man soll von jedem Gutes denken, bis das Gegenteil erscheint, wenn dies nicht eine Gefahr für andere bedeutet. Denn in diesem Falle muß man Vorsicht anwenden, nach 1. Joh. 4.: „Wollet nicht jedem Geiste glauben.“ III. Wenn der Zeuge geeignet ist und die Rechtsordnung es so erheischt, ist Zeugnis ablegen etwas zum Heile Notwendiges. Damit besteht, daß einige ausgenommen sind.
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