Dritter Artikel. Die Verkleinerung ist nicht die größte Sünde unter jenen, die gegen den Nächsten begangen werden.
a) Dem steht entgegen: I. Zu Ps. 108 (pro eo ut me diligerent, detrahebant mihi) sagt Augustin: „Unter seinen Gliedern schaden Christo jene, welche die Seelen derer, die glauben wollen, töten, mehr wie jene, die seinen bald wieder auferstehenden Körper mordeten.“ Also ist die Verkleinerung eine um so schwerere Sünde wie der Totschlag; als es schwerwiegender ist, die Seele zu töten wie den Leib. Der Totschlag aber ist sonst unter den Sünden gegen den Nächsten die schwerste; also ist die Verkleinerung noch schwerer. II. Die Verkleinerung ist eine schwerere Sünde wie die Schmähung. Denn diese kann der Mensch bekämpfen; jene aber, die ja heimlich herumschleicht, nicht. Die Schmähung nun ist eine größere Sünde wie der Ehebruch; denn dieser einigt zwei zu einem Fleische, die Schmähung aber teilt die geeinigten. Der Ehebruch nun ist unter den Sünden gegen den Nächsten eine besonders schwere. Also ist die Verkleinerung noch schwerer. III. Die Schmähung kommt vom Zorne, die Verkleinerung vom Neide. (Gregg. 31. moral. 17.) Der Neid aber ist eine schwerere Sünde wie der Zorn. Also ist die Verkleinerung schwerer wie die Schmähung. IV. Die Folge der Verkleinerung ist eine der schwersten, nämlich die Verblendung des Geistes. Denn so sagt Gregor (ep. 45.): „Was thun die da verkleinern anders als daß sie in den Staub blasen und gegen ihre Augen Erde aufwirbeln, so daß sie, je mehr sie verkleinern, desto minder die Wahrheit sehen.“ Auf der anderen Seite ist Sündigen durch die That schwerwiegender wie Sündigen durch Worte. Also ist Ehebruch und Totschlag schwerwiegender wie Verkleinerung.
b) Ich antworte; die Sünden gegen den Nächsten muß man wägen, soweit es auf ihren objektiven Wesensinhalt ankommt, an dem durch sie verursachten Schaden; denn von daher rührt die Schuld in ihnen. Um so größer aber ist der Schaden, ein je größeres Gut genommen wird. Da nun das menschliche Gut entweder der Seele entspricht oder dem Leibe oder in den äußeren Gütern besteht, so ist zu betrachten, daß das Gut der Seele,also das größte, keiner an und für sich nehmen kann; denn schlechte Gelegenheit, böse Überredungskünste bringen keine Notwendigkeit mit sich. Das dem Körper entsprechende Gut aber und die äußeren Güter können mit Gewalt genommen werden. Weil nun das erstere höher steht wie die letzteren, so ist unter allen Sünden gegen den Nächsten der Totschlag die schwerste, denn dadurch wird das Leben des Körpers genommen; und dieser Sünde folgt in der Schwere der Ehebruch, der sich gegen die gehörige Ordnung in der menschlichen Zeugung, des Einganges zum Leben, richtet. Dann kommen die äußeren Güter, unter welchen der gute Name höher steht wie Reichtum, nach Prov. 22.: „Besser ist der gute Name wie vieler Reichtum.“ Die Verkleinerung ist also eine schwerere Sünde wie der Diebstahl; und nicht so schwer wie Ehebruch und Mord. Nebensächlicherweise jedoch werden die Sünden erwogen von seiten des Sünders her, der da schwerer sündigt, wenn er mit Überlegung sündigt als wenn nur aus Schwäche und Unvorsichtigkeit. Und danach haben die Sünden in Worten einen gewissen leichten Charakter; da leicht ein Wort von der Zunge fällt ohne großes Überlegen. «) I. Die da Christum verkleinern, indem sie seine Gottheit leugnen und so den Glauben der Glieder hindern, sind nicht so sehr Verkleinerer wie Lästerer. II. Wie der Raub eine größere Sünde als der Diebstahl, so ist die Schmähung eine schwerere Sünde wie die Verkleinerung; denn die mit der ersteren verbundene Verachtung ist größer. Der Ehebruch aber ist schwerer als Sünde wie die Schmähung; denn dessen sündlicher Charakter wird nicht erwogen nach der Verbindung der Körper, sondern nach der Unordnung mit Rücksicht auf die menschliche Zeugung. Dagegen ist der schmähsüchtige nicht notwendig Ursache der Zwietracht, sondern nur Gelegenheit; denn seine Worte sind kein Zwang für die anderen, um sich zu trennen. So auch ist der Verkleinerer, nur soweit es von ihm abhängt, Menschenmörder; denn er bietet nur Gelegenheit, daß man den Nächsten hasse oder verachte.„Wer aber seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder.“ (1. Joh. 3.) III. Die Schmähung beleidigt offen, wie der Zorn offen nach Rache sucht. Die Verkleinerung geht heimlich vor; und ist so vielmehr ein Kind des Neides desjenigen, der wie auch immer danach trachtet, die Anerkennung, deren der Nächste sich erfreut, zu mindern. Deshalb ist jedoch die Verkleinerung größere Sünde; denn aus einem kleineren Laster kann eine größere Süde hervorgehen, wie z. B. aus dem Zorne der Mord und die Gotteslästerung kommt. Der Ursprung der Sünden nämlich wird beurteilt gemäß Hinneigung zum Zwecke, also auf Grund der Zuwendung zu einem Gute; während die Schwere vom Grade der Abkehr vom höchsten Gute abhängt. IV. Weil „der Mensch sich freut an dem, was er spricht“ (Prov. 15.); deshalb fängt der Verkleinerer an, zu lieben und zu glauben was er spricht, damit aber auch den Nächsten mehr und mehr zu hassen und sich gegen die Wahrheit zu verschließen. Diese Wirkung ist die Folge auch der anderen Sünden, die dem Hasse des Nächsten entspringen.
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