Zweiter Artikel. Auch kein anderes Geschenk oder einen Vorteil darf man für das geliehene Geld fordern.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Oft leidet jener dadurch einen Schaden, der Geld leiht; dafür ist aber eine Schadloshaltung gestattet. II. Der eine Wohlthat empfangen, ist zum Danke verpflichtet. (5 Ethic. 5.) Aus natürlichem Anstande also ist er gehalten, in etwa zu entgelten und somit ist dies nicht unerlaubt. III. Es giebt Gaben der Hand, der Zunge und des Dienstes, nach der Glosse zu Isaias 33, 15.: „Selig, der seine Hand für jede Gabe zuhält.“ Man kann aber Lob oder auch einen Dienst annehmen von jenem, dem man geliehen hat; also auch ein Geschenk aus seiner Hand. IV. Giebt man Geld, so kann man anderes Geld dafür annehmen, Leiht man also einmal Geld, so kann man auch dies als Entgelt fordern, daß man ein anderes Mal selber geliehen bekommt. V. Man darf Gewinn annehmen aus dem Gelde, welches man einem Kaufmanne übergeben hat oder einem Handwerker; also bei weitem mehr von jener Person, der man geliehen und wo man somit den Besitz des Geldes ganz und gar übertragen hat. VI. Für das geliehene Geld kann man ein Pfand annehmen, dessen Gebrauch verkauft werden kann, wie z. B. einen Acker, ein Haus. Das ist doch aber Gewinn. VII. Bisweilen verkauft jemand seine Sachen teuerer dem anderen, weil er ihm geliehen, oder er kauft billiger aus demselben Grunde; oder er vermindert den Preis, wenn allsogleich bezahlt wird, und erhöht ihn, wenn man Aufschub verlangt; wo doch in allen diesen Fällen immer ein gewisses Entgelt erscheint; — und trotzdem kann man das nicht als ungerecht bezeichnen. Auf der anderen Seite erfordert der Prophet unter anderem vom gerechten Manne (Ezech. 18.): „Wenn er Zins oder solch etwas darüber nicht erhalten hat.“
b) Ich antworte, alles Jenes gelte als Geld, nach 4 Ethic. 1., dessen Wert mit Geld bemessen werden kann. Sowie also wer, sei es infolge stillschweigender oder ausdrücklicher Übereinstimmung, für geliehenes Geld oder für irgend eine andere Sache, deren Gebrauch ihr Verbrauch ist, Geld annimmt, gegen die Gerechtigkeit sündigt; so auch wer etwas Anderes annimmt, dessen Wert mit Geld bemessen werden kann. Nimmt er jedoch Solches an, nicht als etwas Gefordertes und nicht auf Grund einer Verpflichtung, sondern als frei gegebenes Geschenk, so sündigt er nicht. Denn auch bevor er lieh, durfte er erlaubterweise ein Geschenk annehmen; und seine Lage kann jedenfalls wegen des Leihens keine schlechtere geworden sein. Wohlwollen aber und Liebe z. B., Dinge also, die nicht durch Geld bemessen werden können, darf man als Entgelt für das Leihen annehmen.
c) I. Wer ausleiht, kann ohne Sünde in das Übereinkommen mit aufnehmen die Schadloshaltung für den Nachteil, den er etwa durch das Ausleihen erleidet. Denn das heißt nicht den Gebrauch des Geldes verkaufen, sondern einen Nachteil vermeiden; und kann es wohl sein, daß wer das geliehene Geld erhält einen größeren Nachteil vermeidet als der das Geld ausleiht, so daß er diesen letzteren noch mit seinem Nutzen für den erlittenen Nachteil entschädigt. Die Schadloshaltung aber für den Nachteil, der danach bemessen wird, daß mit dem Gelde nichts gewonnen wird, kann er nicht in das Übereinkommen aufnehmen; denn er kann nicht verkaufen, was er noch nicht hat und dessen Erwerb verschiedentlich gehindert werden kann. II. Die Entschädigung für eine erhaltene Wohlthat kann in zweifacher Weise geleistet werden: 1. infolge einer rechtlichen Schuld, wozu jemand durch Übereinkommen verpflichtet werden kann; und diese Schuld wird bemessen nach dem Umfange der empfangenen Wohlthat; jener also, der ein Darlehen erhalten, ist nicht gehalten, mehr wiederzuerstatten, als er empfangen, und wird er zu mehr verpflichtet, so ist dies ungerecht; — 2. infolge der mit der Freundschaft verknüpften Schuld, worin maßgebender ist der Grad der Hinneigung, welcher zu Grunde liegt, als der Umfang der betreffenden Wohlthat; und dieser Art Verpflichtung ist der bürgerliche Zwang fremd; sie ist rein freiwillig. III. Ob jemand wie aus einer gewissen Verpflichtung für das geliehene Geld eine Entschädigung erwartet von der Hand oder von der Zunge oder von Diensten, stellt sich gleich; denn auch die Werke der Zunge und der Dienstleistungen kann man bezahlen. Kommt die Gabe der Zunge oder des Dienstes aber vom Wohlwollen oder von der Liebe, die nicht mit Geld bemessen werden kann, so darf man dies annehmen fordern und erwarten. IV. Man kann Geld nicht verkaufen für mehr Geld als geliehen worden und zurückzugeben ist. Da darf nur das Wohlwollen erwart werden, aus dem später hervorgehen kann, daß der andere aus freien Stücken und gern etwas Anderes leiht. Eine Verpflichtung aber, in Zukunft etwa Geld oder sonst etwas Anderes geliehen zu erhalten, weil man jetzt selbst leiht, ist nicht statthaft; denn eine solche Verpflichtung kann mit Geld gemessen werden. Es ist also wohl erlaubt, wenn man etwas leiht, etwas Anderes zugleich seinerseits geliehen zu erhalten; nicht aber ist es erlaubt, jemanden zu verpflichten, daß er in Zukunft leiht. V. Wer ausleiht überträgt den Besitz des betreffenden Geldes auf jenen, dem er leiht. Dieser also hat dasselbe unter seiner ganzen Gefahr und Verantwortlichkeit und ist verpflichtet, die Summe ganz und vollständig wiederzuerstatten. Wer aber dem Kaufmanne oder dem Handwerker sein Geld anvertraut und sonach mit diesem eine gewisse Gesellschaft bildet, behält den Besitz seines Geldes; er läuft Gefahr zusammen mit dem Kaufmanne, der Geschäfte macht, oder mit dem Handwerker, der arbeitet; somit kann er einen entsprechenden Teil des Gewinnes in Anspruch nehmen; denn es gilt da sein eigenes Geld. VI. Erhält der ausleihende ein Pfand, dessen Gebrauch allein bererits Nutzen bringt, so muß dieser letztere mitberechnet werden bei der Zurückerstattung des geliehenen Geldes; sonst wäre da Ungerechtigkeit, es sei denn es handelte sich um einen Gegenstand, der unter bekannten ohne weiteres geliehen wird, wie um ein Buch u. dgl. VII. Verkauft jemand deshalb seine Sachen über ihren Wert hinaus, weil er meint, der Käufer werde mit der Zahlung des Kaufpreises warten, so ist dies dasselbe wie Zinsnehmen oder Wucher; denn ein solches Warten steht auf der nämlichen Stufe wie Ausleihen. Was also für derartiges Warten über den Wert hinaus gefordert wird, ist ein Preis für das Leihen. Älhnlich wenn jemand eine Sache billiger haben will als der Wert weil er den Preis bereits vorausgezahlt, so ist dies Wucher oder Zinsnehmen; denn die Vorausbezahlung ist wie ein Darlehen und als Preis davon steht da der billigere Preis. Will aber jemand den gerechten Preis in etwa vermindern, damit er schneller das Geld habe, so ist das nicht ungerecht.
