Erster Artikel. Ungebührenden und reinen Zins nehmen für geliehenes Geld ist Sünde.
a) Zins nehmen für geliehenes Geld ist keine Sünde. Denn: I. Damit befolgt man das Beispiel des Heilandes (Luk. 19.), der da sagt: „Ich hätte bei meiner Ankunft mit Zinsen es (das geliehene Geld) zurückverlangt.“ II. Im Gesetze, das nach Ps. 18. „makellos ist“, wird Zinsnehmen gestattet, nach Deut. 23.: „Du wirst deinem Bruder weder Geld auf Zins leihen; dem Fremden aber;“ und ebenso Deut. 28.: „Du wirst auf Zins leihen vielen Völkern und du wirst bei keinem eine solche Anleihe machen.“ III. Die bürgerlichen Gesetze erlauben das Zinsnehmen; sie sind aber die Norm für die Gerechtigkeit. IV. „Leihet aus und erhoffet nichts davon,“ steht bei Luk. 6. unter den evangelischen Räten; zu denen doch niemand verpflichtet ist. V. Einen Lohn annehmen für das, wozu man nicht verpflichtet ist, scheint keine Sünde zu sein. Oft aber ist man nicht verpflichtet, Geld zu leihen. VI. Gemünztes Silber; und Silber, das zu Gefäßen geformt erscheint, ist nicht voneinander unterschieden. Man kann aber Geld als Lohn nehmen, wenn man silberne Gefäße leiht; also auch für das Leihen von gemünztem Silber oder Golde. VII. Was jemand freiwillig giebt, kann man annehmen. Dem aber geliehen wird, der giebt von freien Stücken Zins. Auf der anderen Seite heißt es Exod. 22.: „Hast du geliehen einem armen aus meinem Volke, der mit dir zusammen wohnt; du sollst ihn nicht drängen wie ein Exekutor und mit Zinsen nicht drücken.“
b) Ich antworte, Zins nehmen für ausgeliehenes Geld sei an und für sich ungerecht. Denn es wird da verkauft das, was nicht besteht; und dies bildet offenbar eine Ungleichheit, welche der Gerechtigkeit zuwider ist. Um das uns klar zu machen, müssen wir berücksichtigen, daß es Dinge giebt, deren Gebrauch ihr eigenes Vergehen oder ihr Ende ist, wie z. B. der Wein selber vergeht, wenn er gebraucht, d. h. getrunken wird; und dasselbe ist mit dem Weizen der Fall, wenn er als Nahrung dient. In solchen Dingen also wird nicht der Gebrauch und die Sache selbst unterschieden, sondern wem der Gebrauch bewilligt wird, dem wird auch der Besitz übertragen. Wer somit den Wein an und für sich verkaufen wollte und getrennt davon den Gebrauch desselben, der würde zweimal die gleiche Sache verkaufen; oder er würde verkaufen das, was nicht ist, würde also gegen die Gerechtigkeit sündigen. Und ähnlich würde derjenige ungerecht sein, welcher Wein oder Weizen leihen wollte mit der Forderung, ihm zweifach zu entgelten; einmal etwas der Sache selbst Gleiches wiederzuerstatten und dann den Preis für den Gebrauch des Weines oder des Weizens zu bezahlen (bis usura von usus). Andere Dinge giebt es, deren Gebrauch nicht den Verbrauch der Sache selbst besagt, wie der Gebrauch eines Hauses darin besteht, darin zu wohnen: nicht aber in dessen Zerstörung. In solchen Dingen kann also Beides voneinander getrennt werden. Es kann jemand dem anderen sein Haus verkaufen und sich den Gebrauch desselben, das Wohnen darin, für eine gewisse Zeit vorbehalten; oder er kann sich den Besitz vorbehalten und einem anderen es vermieten, daß dieser darin wohne. Und sonach kann erlaubterweise der Mensch einen Preis annehmen für den Gebrauch des Hauses und außerdem wieder verlangen das vermietete Haus selber, daß er es weiterhin besitze. Das Geld aber (5 Ethic. 5.) ist an erster Stelle erfunden, um den Ein- und Austausch zu befördern; und sonach ist der eigentliche und wesentliche Gebrauch des Geldes dessen Verbrauch oder dessen Ausgeben, insoweit es nämlich zu Tauschgeschäften verwandt wird. Danach ist es also an und für sich dem Wesen des Geldes nach unerlaubt, für den bloßen Gebrauch des geliehenen Geldes einen Preis zu nehmen, der „Zins“ genan»t wird; und somit ist der Mensch ebenso verpflichtet, das durch Zinsnehmen erlangte Geld zurückzuerstatten, wie er gehalten ist, anderes ungerecht Erworbene wiederzugeben.
c) I. „Zins“ wird da bildlich genommen für das Wachstum in den geistigen Gnadengaben, die Gott verliehen; was nämlich unseren Nutzen ausmacht, nicht den Gottes. II. Die Juden durften keinen Zins nehmen von ihren Brüdern. Dadurch ist angezeigt, daß das Zinsnehmen an und für sich ein Übel sei; denn jeder Mensch muß uns ein Nächster und ein Bruder sein, zumal im Gesetze des Evangeliums. Deshalb heißt es Ps. 14. schlechthin: „Der sein Geld nie auf Zinsen auslieh;“ und Ezech. 18.: „Wer Zinsen nicht annahm.“ Daß sie aber von Fremden Zinsen nehmen durften, ward ihnen erlaubt, um ein größeres Übel zu vermeiden; damit sie nämlich nicht von den Brüdern deren annähmen, da sie dem Geize ergeben waren, nach Isai. 56. Wenn weiter gesagt wird: „Du wirst auf Zins leihen vielen Völkern,“ so ist da im weitern Sinne von Leihen überhaupt die Rede, wie auch Ekkli. 29. Es wird den Juden überfließender Reichtum versprochen, vermöge dessen sie anderen leihen könnten. III. Die menschlichen Gesetze lassen einige Sünden straflos wegen der unvollkommenen Menschen, in denen dies ein Hindernis wäre für mannigfachen Nutzen, den sie bringen und der nicht statthätte, wenn alle Sünden streng unter Strafe verboten würden. Deshalb giebt das menschliche Gesetz Zinsen zu; nicht in der Meinung, dieselben seien an sich erlaubt gemäß der Gerechtigkeit, sondern damit nicht vielfacher Nutzen gehindert werde. Darum heißt es im bürgerlichen Rechte selbst (2 Constit. tit. 4. de Usufructu et Constituitur): „Die Dinge, welche durch ihren eigenen Gebrauch vergehen, lassen an sich weder kraft der natürlichen Vernunft, noch nach dem bürgerlichen Gefetze eine eigene Nutznießung zu, … der Senat hat sonach nicht eine wirkliche Nutznießung solcher Dinge hergestellt (das konnte er ja auch nicht), sondern er stellte etwas wie eine gewisse Nutznießung, nach Art einer solchen, auf;“ nämlich er erlaubte Zinsen. Und Aristoteles (1 Polit. 7.) sagt: „Die Erwerbung von Geld ist im höchsten Grade außerhalb der Natur.“ IV. Zum Ausleihen ist der Mensch nicht gehalten; das ist ein Rat. Daß aber der Mensch keinen Gewinn sucht, wenn er von seinem Überflusse ausleiht, das ist Gebot. Höchstens mit Rücksicht auf die Pharisäer kann Letzteres als Rat bezeichnet werden, die da meinten, Zinsnehmen sei unter gewissen Bedingungen erlaubt; wie auch die Liebe der Feinde ein Rat ist. Oder der Herr spricht da nicht vom Zinsgewinne, sondern von der Hoffnung, die sich auf einen Menschen stützt; denn nicht sollen wir ausleihen oder überhaupt ein gutes Werk machen wegen der Hoffnung, die sich auf einen Menschen stützt, sondern die Gott zur Stütze hat. V. Wer nicht gehalten ist, zu leihen, kann das Entgelt dessen annehmen, was er gethan; nicht aber darf er mehr fordern. Er erhält aber solches Entgelt gemäß der Gerechtigkeit, wenn ihm so viel zurückgegeben wird, wie er geliehen. Fordert er etwas mehr für den Gebrauch einer Sache, die einen anderen Gebrauch nicht hat als ihren Verbrauch, so fordert er einen Preis für etwas nicht Bestehendes; und somit ist dies ungerecht. VI. Der Gebrauch silberner Gefäße ist nicht deren Verbrauch; und sonach kann ihr Gebrauch erlaubtermaßen verkauft und ihr Besitz vorbehalten werden. Der hauptsächliche Gebrauch des Geldes aber ist, es auszugeben, sich dessen zu entäußern für Ein- und Austausch von anderen Dingen. Also darf man dessen Gebrauch nicht verkaufen und dann noch die geliehene Summe zurückhaben wollen. Dabei ist noch zu bemerken, daß an zweiter Stelle der Gebrauch silberner Gefäße deren Ein- und Austausch sein kann; und solchen Gebrauch darf man dann nicht verkaufen besonders für sich. Und umgekehrt kann an zweiter Stelle ein Gebrauch silbernen Geldes darin bestehen, daß jemand bestimmtes, gekennzeichnetes Geld einem anderen bewilligt, damit er es zeige (wie z. B. alte Münzen) oder damit er es anstatt Pfandes niederlege; und solchen Gebrauch des Geldes kann der Mensch erlaubterweise verkaufen. VII. Wer Zins giebt, thut dies nicht schlechthin freiwillig, sondern gewissermaßen gezwungen; weil er dessen bedarf, daß man ihm Geld leihe und jener, der Geld besitzt, es nicht ohne Zins leihen will.
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