Vierter Artikel. Die Gottesverehrung ist eine von den anderen verschiedene Tugend.
a) Dem scheint nicht so. I. Augustin (10. de civ. Dei 6.) sagt: „Ein wahres Opfer ist jedes gute Werk, was wir thun, damit wir in heiliger Gemeinschaft mit Gott verbunden werden.“ „Opfern“ aber gehört der Tugend der Gottesverehrung an. Also ist jedes Tugendwerk Gottesverehrung. II. „Alles thut zur Ehre Gottes,“ heißt es 1. Kor. 10. Dies bezieh sich aber auf die Gottesverehrung, Gott nämlich Ehre zu erweisen. Also ist jede Tugend Gottesverehrung. III. Die heilige Liebe, mit der Gott geliebt wird, ist die gleiche Tugend wie jene, mit welcher der Nächste geliebt wird. „Geehrt werden aber steht nahe dem Geliebtwerden,“ nach 8 Ethic. 8. Also ist die Gottesverehrung, kraft deren Gott geehrt wird, dieselbe Tugend wie die Achtung oder die Hingebung oder die Ehrerbietigkeit, Tugenden, welche den Nächsten zum Gegenstande haben. Also ist sie keine eigene besondere Tugend. Auf der anderen Seite wird die Gottesverehrung als Teil der Gerechtigkeit und als eine von dieser verschiedene Tugend aufgefaßt.
b) Ich antworte, wo ein besonderer Charakter des Guten ist, da müsse auch eine besondere Tugend bestehen. Nun kommt Gott, dessen Ehre Gegenstand der Gottesverehrung ist, ein ganz eigener, besonderer Vorrang zu, insoweit Er Alles allseitig unendlich überragt. Also gebührt Ihm eine eigene, besondere Ehre; wie ja auch bei den Menschen eine andere Art Ehrerbietigkeit dem Vater gezollt wird und eine andere dem Könige etc. Also ist die Gottesverehrung offenbar eine eigene besondere Tugend.
c) I. Jedes Tugendwerk ist ein Opfer, insofern es zu Gottes Ehe vollzogen wird. Daraus folgt aber nicht, daß jede Tugend Gottesverehrung ist, sondern daß letztere allen anderen in ihrer Weise befehlen kann. II. Ebenso verhält es sich mit Bezug darauf, daß Alles zur Ehre Gottes geschehen soll. Die Gottesverehrung befiehlt da; sie entwickelt nicht selber alle tugendhafte Thätigkeit. Nur jene ist ihr unmittelbar eigen, welche ihrem Wesenscharakter nach auf die Verehrung Gottes sich richtet. III Der Gegenstand der Liebe ist das Gute, der Gegenstand der Verehrung ist der Vorrang oder die Auszeichnung. Die Güte Gottes nun teilt sich den Kreaturen mit, nicht aber der einzig dastehende Vorrang seiner Güte. Die Liebe also, mit der Gott geliebt wird, ist keine verschiedene Tugend von der Liebe, mit welcher der Nächste geliebt wird. Die Gottesverehrung aber ist als Tugend verschieden von jenen Tugenden, mit denen man den Nächsten ehrt.
