Zweiter Artikel. Es ist zulässig, daß man betet.
a) Dem steht entgegen: I. Bitten ist notwendig, um jemandem unsere Bedürfnisse mitzuteilen. „Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr dies Alles notwendig habt,“ ermahnt aber der Heiland. Also brauchen wir nicht zu beten. II. Das Bitten soll den Geist des betreffenden beugen. Gott aber ist unbeugsam, nach 1. Kön. 15.: „Der Sieger in Israel wird nicht schonen und durch Reue wird er nicht gebeugt werden.“ III. Freigebiger ist es, jemandem ohne dessen Bitten zu geben, weil nach Seneca (2. de beneficentia 1.) „nichts teuerer erkauft wird als was durch Bitten gekauft ist.“ Gott aber ist im höchsten Grade freigebig. Auf der anderen Seite steht bei Lukas 18, 1. gefchrieben: „Man muß immerdar beten und nicht nachlassen.“
b) Ich antworte, betreffs des Gebetes sei ein dreifacher Irrtum de Alten zu verzeichnen: 1. daß die menschlichen Dinge durch keine göttliche Vorsehung geleitet werden; wonach es unnütz ist, zu Gott zu beten und Gott zu ehren, nach Malach. 3.: „Ihr habt gesagt: Unnützerweise dient man Gott;“ — 2. daß Alles in der Welt mit absoluter Notwendigkeit geschehe, sei es infolge der Unveränderlichkeit der göttlichen Vorsehung sei es infolge der mit den Sternen gegebenen Notwendigkeit sei es wegen der gegenseitigen Verbindung der Ursachen; — 3. daß wie die menschliche Dinge so auch die göttliche Vorsehung der Veränderlichkeit unterliege man deshalb bete und Gott ehre, um die Verfügung da oben zu ändern. Dies Alles ist I. Kap. 19; Kap. 22; Kap. 115 zurückgewiesen worden, Es muß deshalb das Gebet in dieser Weise nützlich sein, daß wir weder menschlichen Dingen Notwendigkeit auflegen noch die göttliche Willensbestimmung als veränderlich erachten. Deshalb muß man wohl erwägen, daß die göttliche Vorsehung nicht nur verfügt, welche Wirkungen sich ereignen, sondern auch, aus welchen Ursachen und in welcher Ordnung sie sich ergeben sollen. Unter di Ursachen befinden sich nun auch die menschlichen Thätigkeiten. Also müssen die Menschen thätig sein; nicht um dadurch die göttliche Willensbestimmung zu ändern, sondern damit einzelne Wirkungen sich ergeben gemäß der von Gott vorgesehenen Ordnung; wie dies ja auch bei den natürlichen Ursachen der Fall ist. Nicht also deshalb beten wir, um die göttliche Willensbestimmung zu ändern; sondern damit wir Jenes erlangen, was Gott bestimmt hat, daß es sich infolge unserer Gebete erfüllen soll, „daß nämlich die Menschen durch ihre Gebete zu erhalten verdienen, was der allmächtige Gott in Ewigkeit bestimmt hat, ihnen kraft ihrer Gebete zu geben,“ sagt Gregor. (2. dialog. 8.)
c) I. Wir beten, damit wir selber unserer Schwäche uns bewußt werden und daß wir deshalb zu Gott unsere Zuflucht nehmen müssen; nicht damit Gott unsere Bedürfnisse kenne. II. Durch das Gebet wollen wir verdienstvoll erlangen, was Gott bereits bestimmt hat, uns in dieser Weise zu geben. III. Gott giebt Vieles, ohne daß wir darum bitten. Einzelnes aber hat Er bestimmt, uns nur auf Grund unserer Gebete zu geben und zwar zu unserem Nutzen; damit wir nämlich Vertrauen erlangen, zu Gott unsere Zuflucht zu nehmen, und wir erkennen, Er sei der Urheber alles Guten in uns. Deshalb sagt Chrnsostomus (30. in Gen.): „Betrachte, ein wie großes Glück dir bewilligt ist, welche Herrlichkeit, daß wir mit Gott uns unterhalten können, mit Christo sprechen, fordern können, was wir wollen.“
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