Zweiter Artikel. Der Zehnten ist von Allem zu geben.
a) Dies wird geleugnet. Denn: I. Der Zehnten kommt vom Alten Testamente. Da aber ist keine Rede davon, den Zehnten zu geben von persönlichen Leistungen, wie Kriegsdienst oder Handel. Also davon giebt man keinen Zehnten. II. Von dem übel Erworbenen soll man Gott keine Opfergabe darbringen; also noch weit weniger darf man davon den Dienern des göttlichen Kultes den Zehnten geben. III. Lev. ult. bestimmt, man solle „den Zehnten geben von den Früchten und den Äpfeln der Bäume und von den Tieren, welche unter dem Stabe des Hirten stehen.“ Also von allem Anderen darf man keine Zehnten geben, wie vom Kraute, was im Garten wächst u. dgl. IV. Nur von dem, was in seiner Gewalt ist, kann jemand den Zehnten geben. Nun wird aber Manches gestohlen und geraubt, Anderes verkauft; noch Anderes geschuldet, wie der Obrigkeit die Steuer, den Arbeitern der Lohn. Davon giebt man also nicht den Zehnten. Auf der anderen Seite heißt es Gen. 28.: „Von Allem, was Du mir gegeben haben wirst, will ich den Zehnten darbringen.“ Da nun Alles, was der Mensch hat, ihm von Gott gegeben ist, muß er von Allem den Zehnten geben.
b) Ich antworte, man müsse über eine Sache vorzugsweise urteilen, unter Berücksichtigung ihrer Wurzel. Die Wurzel aber der Zehntenentrichtung drückt der Apostel aus 1. Kor. 9.: „Wenn wir in euch Geistiges gesäet haben; ist es dann etwas Großes, wenn wir euer Fleischliches ernten?“ Nun aber ist Alles, was der Mensch besitzt, in diesem „Fleischlichen“ enthalten. Also von Allem, was er besitzt, muß er den Zehnten geben.
c) I. Im Alten Bunde wurde kein besonderes Gesetz gegeben betreffs des Zehnten von dem persönlichen Erwerbe. Denn alle Stämme hatten gesicherte Besitztümer, vermittelst deren sie in genügender Weise für die Leviten sorgen konnten. Zudem entbehrten die Leviten wohl des Besitzes; aber sie konnten sonst durch anständige Arbeiten gewinnen wie die übrigen Juden. Das christliche Volk aber ist durch die ganze Welt zerstreut und viele haben keinen Grundbesitz, sondern leben von anderen Geschäften. Diese also würden, wenn sie keinen Zehnten zahlten, gar nichts beitragen zum Unterhalte der Diener der Kirche. Zudem ist es letzteren strenge verboten, nach 2. Tim, 2, 4., sich in weltliche Geschäfte zu mischen, „da sie für Gott Kriegsdienste leisten.“ Also sind im Neuen Bunde die Menschen zu persönlichen Zehnten verpflichtet; immer aber nach dem Gebrauche des Vaterlandes und den Bedürfnissen der Diener der Kirche. Deshalb sagt Augustin (serm. 219. de Temp.): „Vom Kriegssolde, vom Handel, vom Handwerke gieb den Zehnten.“ II. Es kann bei übel Erworbenem einmal der Erwerb selber ungerecht sein, wie bei dem, was durch Diebstahl, Raub, Wucher erworben ist; und davon wird kein Zehnten gegeben, vielmehr muß zuvörderst zurückerstattet werden, Nur wenn z. B. ein Acker mit Wuchergeld erkauft ist, so besteht die Verpflichtung des Zehnten; denn die Früchte kommen nicht vom Wucher, sondern sind eine Gabe Gottes. Dann ist Manches übel erworben, weil die Erwerbsquelle unrein ist; wie z. B. was von der Unkeuschheit kommt, Das braucht zwar nicht wiedererstattet werden. Aber doch nimmt die Kirche davon keinen Zehnten, solange die Person in einer solchen Sünde sich befindet; damit die Kirche nicht an der Sünde teilzunehmen scheine. Haben solche Personen gebüßt, so kann man von ihnen den Zehnten annehmen. III. Das Zweckdienliche wird bemessen durch den Zweck. Dieser ist nun für die Zehntenentrichtung die Lebensnotdurft der Diener der Kirche. Dem Anstande dieser aber geziemt es nicht, auch das Geringste mit Genauigkeit einzufordern; dies würde nach 4 Ethic. 2. ein Fehler sein. Das Alte Gesetz hat darum von diesen geringen Dingen keinen Zehnten vorgeschrieben, sondern dies dem guten Willen der Geber überlassen. Die Pharisäer also, die da eine vollendete Werkgerechtigkeit besitzen wollten, gaben auch von diesen geringen Dingen den Zehnten; und nicht deshalb werden sie vom Herrn getadelt, sondern weil sie Größeres, die geistigen Gebote nämlich, vernachlässigten. Danach sagt der Herr: „Das hättet ihr thun müssen,“ womit Er vielmehr die Schicklichkeit solcher Zehententrichtung empfiehlt als deren Verpflichtung. Also von solch geringen Dingen den Zehnten zu geben, ist keine Pflicht; es müßte denn die landesübliche Gewohnheit dazu treten. IV. Nur wenn es offenbar die Schuld des Besitzers war, daß man ihm stahl oder raubte, muß er davon den Zehnten geben; denn die Kirche kann keinen Nachteil haben, weil dieser Mann nachlässsig war. Verkauft der Besitzer Getreide, ohne den Zehnten bezahlt zu haben, so kann die Kirche sowohl vom Käufer, der eine der Kirche geschuldete Sache hat, wie auch vom Verkäufer, der sie betrogen, Wiedererstattung verlangen; — und bezahlt der eine, so hat sie vom anderen nichts zu verlangen. Der Zehnte aber wird geschuldet, insoweit die Früchte eine Gottesgabe sind; und sonach können die Zehnten nicht besteuert werden. Also darf nicht zuerst die Steuer und der Arbeiterlohn abgezogen werden, ehe der Zehnte bezahlt wird; sondern von allen Früchten insgesamt muß man zuerst den Zehnten entrichten.
