Erster Artikel. Die Verpflichtung, den Zehnten zu geben.
a) Es giebt kein Gebot, welches zum Zehnten verpflichtet. Denn: I. Im Alten Gesetze wird Lev. 27, 30. geboten, daß „aller Zehnte der Erde … dem Herrn gehöre.“ Das ist nun kein Moralgesetz; denn die natürliche Vernunft schreibt nicht mehr vor, den Neunten oder den Elften zu geben, wie den Zehnten. Die richterlichen oder Ceremonialgesetze aber des Alten Bundes verpflichten nicht mehr in der Zeit der Gnade. II. Nur was Christus und die Apostel geboten, müssen wir beobachten, nach Matth. ult.: „Und lehrt sie zu beobachten Alles, was ich euch geboten habe;“ und Act. 20, 27.: „Ich (Paulus) habe mich dem nicht entzogen, daß ich euch allen den Ratschluß Gottes ankündigte.“ Weder in der Lehre Christi noch in derjenigen der Apostel steht aber etwas von der Lösung des Zehnten. Denn was der Herr sagt (Matth. 23.): „Wehe euch, die ihr den Zehnten nehmet … das solltet ihr thun,“ gehört noch in die Zeit des Alten Gesetzes, wie Hilarius sagt (sup. Natth.): „Der Zehnte von den Früchten, welcher zum Vorbilden und als Figur des Zukünftigen nützlich war, durfte nicht unerwähnt gelassen werden.“ III. Vor dem Gesetze verpflichtete kein Gebot zum Zehnten, sondern nur im besonderen Falle ein Gelübde, nach Gen. 28.: „Jakob machte ein Gelübde und sprach: Wenn Gott mit mir ist…, so will ich Dir von Allem, was Du mir geben wirst, den Zehnten darbringen.“ Also sind ebenso wenig nach der Zeit des Gesetzes, in der Zeit der Gnade, die Menschen zum Zehnten verpflichtet. IV. Ein dreifacher Zehnte bestand im Alten Gesetze. Der eine wurde den Leviten überlassen, nach Num. 18.: „Die Leviten sollen zufrieden sein mit dem Darbieten des Zehnten, den ich zu deren Gebrauche und Lebensunterhalte getrennt habe.“ Der andere Zehnte wird Deut. 14. erwähnt: „Den zehnten Teil sollst du trennen von allen Früchten, welche dir gehören, die da jährlich auf dem Boden wachsen; und du sollst sie vor deinem Gotte an dem Orte, den Er sich erwählen wird, verzehren.“ Der dritte Zehnte wird I. c. V. 28. geboten: „Im dritten Jahre sollst du einen anderen Zehnten trennen von Allem, was in dieser Zeit dir wächst, und du sollst ihn beiseitelegen; und der Levite… wird kommen und der Fremde und die Waise und die Witwe in deinem Besitztume und sie werden essen und satt werden.“ Zum zweiten und dritten Zehnten sind nun die Menschen in der Zeit der Gnade nicht verpflichtet; also auch nicht zum ersten. V. Was geschuldet wird, ohne daß eine Zeit dafür bestimmt ist, dem muß gleich genuggethan werden; sonst besteht da Sünde. Wären also zur Zeit des Evangeliums die Menschen verpflichtet, in den Ländern, wo der Zehnte nicht eingeführt ist, einen solchen zu bezahlen, so wären sie alle im Stande der Todsünde; es wären dies auch die Diener der Kirche, welche eine solche Verpflichtung vertuschen. Dies ist aber unzulässsig. Auf der anderen Seite sagt Augustin (serm. 219. de Temp.) „Der Zehnte wird als etwas Geschuldetes verlangt; und wer ihn nicht geben will, der greift fremdes Gut an.“
b) Ich antworte; der Zehnte im Alten Bunde diente dem Unterhalt der Priester und Leviten, nach Malach. 3.: „Bringet alle Zehntabgabe in meine Scheuer, damit Speise sei in meinem Hause.“ Sonach war die Vorschrift über den Zehnten teils eine Moralvorschrift, eingegeben von der natürlicher Vernunft: und teils eine richterliche. Daß nämlich denen, welche zum Heil des ganzen Volkes dem göttlichen Kulte dienen, das Volk den Lebensunterhalt besorge, das schreibt die natürliche Vernunft vor; wie ja auch Fürsten und Soldaten, die auf den Gemeinnutzen achthaben, das Volk Bezahlung schuldet. Deshalb beweist diese Vorschrift als eine auf der Natur beruhend der Apostel (1. Kor. 9.) durch die Gebräuche bei den Menschen: „Wer thut je Kriegsdienste auf seine Kosten? Oder wer pflanzt einen Weinberg und genießt davon nicht die Früchte?“ Die genauere Bestimmung aber, welcher Teil oder wie viel gegeben werden soll, kommt nicht von der Natur; sondern ist durch göttliches Gesetz für jenes Volk festgestellt worden, dem das Gesetz gegeben ward. Da nämlich dieses Volk in zwölf Stämme zerfiel und der zwölfe Stamm, der Levi', welcher dem göttlichen Dienste gewidmet war, keine Anteil in der Teilung des Landes erhalten hatte, um davon seinen Lebensunterhalt zu beziehen; so war es nicht mehr als billig, daß die anderen Stämme den zehnten Teil ihrer Einkünfte den Leviten gaben, damit diese anständig leben konnten. Mit Rücksicht also auf diesen zehnten Teil war die Zehntenvorschrift keine Moral-, sondern eine richterliche Vorschrift und wie so viele andere richterlichen Vorschriften im Gesetze, dazu bestimmt, die gegenseitige Gleichheit aufrecht zu halten. Nun bezeichnete wohl diese richterliche Vorschrift auch etwas für die Zukunft, „denn Alles war bei dem Jude volle Figur“ (1. Kor. 10.); nämlich das Vollkommene, was Christus bringen sollte (ist doch die Zehnzahl gewissermaßen eine vollendete Zahl, weil sie die erste Vollendung der Zahl ist; denn von zehn an fängt man wieder von der Einheit an zu zählen) und somit behielt der betreffende neun Teile für sich, d. h. er bekannte sich als unvollkommen und erwarb die Vollendung durch Christum. Aber deshalb ist die Zehntenvorschrift in keiner Weise eine ceremoniale; sondern nur eine richterliche. Das ist nämlich der Unterschied zwischen den reinen Ceremonialvorschriften, die also darin bestanden, daß sie etwas Zukünftiges vorbildeten, und den richterlichen; daß jene jetzt, zur Zeit der Gnade, zu beobachten Sünde ist (I., II. Kap. 104, Art. 3), während die richterlichen Vorschriften, obgleich sie für jetzt nicht mehr verpflichten, doch von Autoritäten, die Gesetze zu geben berechtigt sind, wieder aufgestellt und somit wieder verpflichtend werden können. So könnte ein König wohl ein Gesetz geben, daß nach Exod. 22. wer ein Schaf stiehlt vier zurückerstatten muß; und dieses Gesetz müßten die Unterthanen befolgen. In dieser Weise nun ist die Zehntabgabe von der kirchlichen Autorität von neuem als Gesetz aufgestellt worden und zwar nach einer gewissen Analogie, daß nnämlich das Volk im Neuen Bunde, obgleich es nach Matth. 5, 20. zu Größerem, zu überfliehender Gerechtigkeit, berufen ist, wenigstens so viel den Dienern des Altars zu ihrem Unterhalte gebe, wie das Volk des Alten Bundes bereits gegeben; zumal ja auch die Würde der Priester des Neuen Bundes größer ist, wie dies Paulus (2. Kor. 2.) beweist. Demnach sind die Menschen teils durch das Naturrecht zum Zehnten verpflichtet, teils durch kirchliches positives Gesetz; so jedoch, daß die Kirche in Anbetracht der Umstände von Zeit und Ort und der betreffenden Personen, auch die Entrichtung eines anderen Teiles irgendwie anordnen kann.
c) I. Ist damit beantwortet. II. Als Moralvorschrift gab der Herr das Zehntengebot Matth. 10., wo Er sagt: „Wert ist der Arbeiter seines Lohnes.“ III. Vor der Zeit des Gesetzes waren keine bestimmten Kultdiener. Man sagt, die erstgeborenen seien damals Priester gewesen, die einen doppelten Teil von Allem erhielten. Deshalb war auch kein bestimmter Teil vorgesehen für die Kultdiener im allgemeinen; sondern wo man einem begegnete, da gab man ihm aus freien Stücken, was gut schien. So gab Abraham wie aus prophetischem Antriebe dem Melchisedech den Zehnten; und ähnlich gelobte Jakob, obgleich dieser nur für die Ausgaben des Kultes gelobt zu haben scheint. IV. Der zweite Zehnten hat keine Stelle im Neuen Bunde, wo keine Opfertiere mehr dargebracht werden; denn dafür wurde er aufbewahrt. Der dritte Zehnte ist im Neuen Bunde vermehrt, da der Herr befiehlt, nicht nur den zehnten Teil, sondern allen Überfluß den armen zu geben, nach Luk. 11, 41.: „Was übrig ist, gebet den armen.“ Und auch der Zehnte, welcher den Priestern zukommt, muß, soweit davon etwas übrig bleibt, den armen gegeben werden. V. Die Diener der Kirche müssen mehr Sorge tragen für das geistige Beste der Gläubigen wie für Ansammlung des Zeitlichen. Daher wollte der Apostel die ihm von Christo übertragene Vollmacht nicht gebrauchen, daß er seinen Lebensunterhalt fordere von denen, welchen er das Evangelium predigte; damit der Verbreitung des Evangeliums kein Hindernis entstände. Jedoch sündigten jene nicht, die dem Apostel nicht zu Hilfe kamen; sonst würde der Apostel sie bestraft haben. Und ebenso sind jene Diener der Kirche lobenswert, welche den Zehnten da nicht einfordern, wo dies nicht gut geschehen kann; entweder weil die gegenteilige Gewohnheit hinderlich ist oder wegen einer anderen Ursache. Deshalb sind aber jene, die den Zehnten nicht entrichten, nicht im Stande der Verdammnis; denn die Kirche verlangt denselben nicht; — es müßte denn böser Wille dabei sein, daß sie in keinem Falle ihn geben wollten, auch nicht wenn er gefordert würde.
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