Zweiter Artikel. Der Gegenstand des Gelübdes ist das bessere Gut.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. „Besseres Gut“ heißt hier jenes Gut, wozu man nicht verpflichtet ist. Der Gegenstand der Taufgelübde aber ist zum Heile notwendig; wie dem Teufel entsagen, den Glauben zu bewahren. Jakob auch gelobte, der Herr solle sein Gott sein, was im höchsten Grade zum Heile notwendig ist. Also ist der Gegenstand des Gelübdes nicht das „bessere Gut“. II. Jephte wird von Paulus unter die Heiligen gezählt. (Hebr. 11) Er aber gelobte, seine unschuldige Tochter zu töten, was durchaus kein „besseres Gut“ ist, sondern vielmehr an sich etwas Unerlaubtes. Unerlaubtes also kann gelobt werden. III. Manchmal werden maßlose Nachtwachen, Fasten und dergleichen gelobt, die der betreffenden Person zum Nachteil gereichen und somit nicht als „besseres Gut“ betrachtet werden kann. Und manchmal sind ganz unnütze, gleichgültige Dinge Gegenstand eines Gelübdes. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 23.: „Willst du nichts geloben, so wirst du ohne Sünde sein.“
b) Ich antworte, das Gelübde sei ein Gott gemachtes Versprechen. Ein Versprechen hat aber immer zum Gegenstande das, was jemand für einen anderen aus freien Stücken oder gern thut. Sonst ist es kein Versprechen, sondern eine Drohung; wenn es gegen einen anderen sich richtet. Und ähnlich wäre das Versprechen unnütz, wenn es das beträfe, was dem anderen mißfällt. Da also die Sünde Gott mißfällt und nur das tugendhafte Werk ihm gefällt, so darf nichts Unerlaubtes Gegenstand des Gelübdes sein und nichts rein Gleichgültiges; sondern nur ein Tugendakt. Und ebenso kann nichts Gegenstand eines solchen Versprechens sein, was bereits notwendig ist. Denn Solches muß geschehen, wogegen das Versprechen auf freiem Willen beruht. Thöricht wäre es zu versprechen, man wolle sterben, oder man wolle nicht fliegen. Was nun keine Notwendigkeit schlechthin in sich schließt, sondern nur notwendig ist, weil der Zweck es so erheischt, ohne was also z. B. das Heil nicht sein kann; das kann gelobt werden, insoweit es dem freien Willen unterliegt, nicht insoweit es notwendig ist. Was jedoch in keiner von beiden Weisen notwendig ist, das fällt so recht eigentlich unter ein Gelübde; denn es ist durchaus freiwillig. Und ein solches Gut wird ein besseres genannt im Vergleiche zu jenem, was gemeinhin zum Heile notwendig ist. Also ist für das Gelübde im eigentlichen Sinne Gegenstand: das bessere Gut.
c) I. Die Taufgelübde sind freiwillig, wenn ihr Gegenstand auch zum Heile notwendig ist. Und so kann man auch das Gelübde Jakobs auffassen; oder er wollte Gott mit einem besonderen Kulte ehren, zu dem er nicht verpflichtet war, z. B. durch Darbringen des Zehnten und Derartiges, wie das Folgende ergiebt. II. Die Tugendwerke sind schlechthin gut und sind deshalb im eigentlichsten Sinne Gegenstand des Gelübdes. Dagegen sind die Sünden von vornherein vom Gelübde ausgeschlossen. Andere Werke sind an sich betrachtet gut, können aber einen schlechten Ausgang haben; wie dies beim Gelübde Jephtes der Fall war. Denn er hatte gelobt (Richt. 11.): „Wenn Du die Kinder Ammons in meine Hand giebst, so will ich was auch immer zuerst aus der Thüre meines Hauses tritt und mir entgegenkommt, wenn ich im Frieden zurückkehre, dieses als Brandopfer dem Herrn darbringen.“ Das konnte einen schlechten Ausgang haben, wenn ihm aus seinem Hause heraus ein Esel oder ein Mensch zuerst entgegentrete; lebende Wesen nämlich, die man Gott nicht opfern durfte. Deshalb sagt Hieronymus (I. cont. Jovin.): „Sein Gelübde war thöricht und unklug; die Erfüllung desselben gottlos.“ An ebenderselben Stelle in Richt. 11. wird vorausgeschickt, der Geist Gottes sei über ihn gekommen, damit dadurch bedeutet werde, sein Glaube und seine innere Andacht, wodurch er bewogen ward, ein Gelübde zu machen, seien vom heiligen Geiste gewesen; und deshalb steht er im Verzeichnisse der Heiligen: wegen des im Geiste des Glaubens erfochtenen Sieges und weil er wahrscheinlich die gottlose That bereut hat; die da immerhin die Figur von etwas Gutem war. III. Fasten und körperliche Abtötung sind Gott angenehm als Tugendwerke; dazu aber gehört, daß darin Maß gehalten wird, daß man nämlich die Begierlichkeit zügelt und der Natur nicht zu lästig fällt. Und in dieser Weise kann Solches gelobt werden. Deshalb sagt Paulus (Röm. 12.): „Bringe Gott euere Körper dar als lebendige Opfergabe, die da heilig sei und Got gefalle; der Vernunft gemäß sei euer Dienst.“ Derartige Gelübde werden zukömmlicherweise nur mit der Bewilligung des Oberen gethan, denn mit Bezug auf sich selbst täuscht sich der Mensch leicht. Leidet die Natur offenbar sehr unter solchen Gelübden, so ist der Mensch zu ihrer Beobachtung nicht verpflichtet; auch wenn es ihm nicht freisteht, den Oberen um seinen Rat oder Dispens zu fragen. Die Gelübde, welche auf unnütze Dinge sich beziehen, sind vielmehr zu verlachen wie zu beachten.
