Sechster Artikel. Verdienstlicher ist es, etwas auf Grund eines Gelübdes zu thun als ohne ein Gelübde.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Prosper (2. de vita contempl. 24.) sagt: „So müssen wir fasten oder der Fleischspeisen uns enthalten, daß wir nicht einer Notwendigkeit Unterthan seien; daß wir nicht etwa fromm, sondern mit Widerwillen es thun.“ Wer aber das Fasten gelobt, der macht sich einer Notwendigkeit unterthan. II. Ebenso sagt Paulus (2. Kor. 9.): „Nicht mit Trauer oder weil es so notwendig ist, sondern jeder soll geben, wie er im Herzen bestimmt hat; denn einen freudigen Geber hat Gott lieb.“ Oft aber sind jene traurig, die das vom Gelübde Aufgelegte thun; und das kommt von der damit verbundenen Verpflichtung, die immer es an sich hat (5 Metaph.), in Trauer zu setzen. III. Das Gelübde soll den Willen festigen. Das geschieht aber am besten, wenn jemand das Gute thatsächlich thut. Auf der anderen Seite sagt die Glosse zu Ps. 75, 12.: „Geloben ist etwas dem Willen Anzuratendes.“ Wer also gelobt, erfüllt zwei Räte: 1. das Geloben selber, und 2. das gute Werk, zu dem man nicht verpflichtet und das da Gegenstand des Gelübdes ist. Dies ist aber besser, als bloß einem Rate folgen, nämlich das gute Werk ohne Gelübde zu thun.
b) Ich antworte, drei Gründe machen, daß es besser ist, etwas unter Gelübde zu thun als ohne Gelübde. Denn 1. ist das Gelübde ein Akt der Gottesverehrung, welche unter den moralischen Tugenden den ersten Rang behauptet. Also ist der Akt jeder anderen niedrigeren Tugend deshalb besser, wenn er von der Gottesverehrung als der höheren angeordnet wird; wie der Akt der Hoffnung und des Glaubens besser ist, wenn er von der Liebe befohlen wird. Das Fasten, die Keuschheit und dergleichen Tugendwerke also sind in höherem Grade verdienstlich, wenn sie unter Gelübde gestellt sind als wenn dies nicht der Fall ist; so daß Augustin (de Virg. 8.) sagt: „Die Jungfräulichkeit selber ist nicht ehrenvoll, weil sie Jungfräulichkeit ist, sondern weil sie Gott geweiht wird.“2. Der gelobende unterwirft sich Gott mehr wie jener, der das Nämliche ohne Gelübde thut. Denn der letztere unterwirft sich Gott nur mit Rücksicht auf die einzelne Thätigkeit; — der gelobende unterwirft sich Gott noch dazu mit Rücksicht auf das Vermögen; er will, daß er nicht mehr anders kann. So würde jemand seinem Freunde mehr geben, der ihm den ganzen Baum mitsamt den Früchten, als jener, der bloß die Früchte gäbe (Anselmus de Similitud. c. 84.) 3. Der Wille wird durch das Gelübde im Guten befestigt. Das gehört aber zur Vollendung der Tugend, nach 2 Ethhic. 4.; wie ja auch mit hartnäckigem Geiste sündigen die Sünde schwerer, nämlich zur Sünde gegen den heiligen Geist macht.
c) I. Prosper meint hier den Zwang, nicht die freiwillig sich aufgelegte Notwendigkeit: „mit Widerwillen sollen wir nicht es thun,“ meint er ja II. Der Zwang verursacht Trauer. Das Gelübde aber ist nicht gegen den Willen, sondern festigt denselben und verursacht so innere Andacht und Freude; wie Augustin (l. c.) oben sagte: „Bereue nicht dein Gelübde, sonder freue dich, daß das, was zu deinem Nachteil ist, dir nicht mehr zu thun frei steht.“ Wenn aber das Tugendwerk an sich betrachtet, wie z. B. Fasten, nach dem Gelübde als lästig erschiene und es bleibt dabei der Wille, das Gelübde zu erfüllen, so ist das Verdienst noch größer; da das Gelübde als Akt der Gottesverehrung höher steht wie ein Akt der bloßen Mäßigkeit. III. Wer etwas Gutes thatsächlich thut, hat festen, guten Willen nur mit Rücksicht auf das, was er thut, und wann er es thut; sein Wille bleibt aber nicht, wie der des gelobenden, unverrückbar fest für alle Zukunft.
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