Zwölfter Artikel. Zur Umwandlung oder Dispens von einem Gelübde ist die Autorität des Kirchenoberen erfordert.
a) Dagegen spricht: I. Jemand kann ohne Erlaubnis des Kirchenoberen in einen Orden treten. Dadurch aber fallen alle anderen Gelübde mit ihren Verpflichtungen fort. II. Die Dispens von einem Gelübde besteht in der Bestimmung, daß in dem betreffenden besonderen Falle das Gelübde nicht zu halten sei. Ist nun die Bestimmung des Oberen eine falsche, so scheint der gelobende von seiner Verpflichtung nicht gelöst zu sein; denn es besteht dann das göttliche Gebot zu Recht, nach welchem das Gelübde gehalten werden muß. Findet aber jemand selber, daß in dem besonderen Falle der Gegenstand des Gelübdes etwas Schlechtes, Unnützes oder ein Hindernis für ein größeres Gut ist, so ist er auf eigene Autorität hin von seiner Verpflichtung gelöst. Also bedarf es nicht der Autorität des Kirchenoberen. III. Nicht alle Kirchenoberen haben die Gewalt, in jedem Gelübde zudispensieren. Das müßte aber der Fall sein, wenn es die Kirchenoberen anginge, von einem Gelübde zu dispensieren; denn das Wesen des Gelübde ist überall dasselbe. Auf der anderen Seite steht das Gelübde nach dieser Seite auf derselben Stufe wie das Gesetz. Von der Verpflichtung eines Gesetzes aber kann nur die gesetzmäßige höhere Autorität dispensieren. (I., II., Kap. 97, Art. 4.)
b) Ich antworte, das Gelübde sei ein Gott gemachtes Versprechen. Was aber in einem Versprechen jenem, dem gegenüber es geleistet wird, wohlgefällig ist, hängt von dessen freier Bestimmung ab. Nun vertritt der Obere in der Kirche die Stelle Gottes. Also für die Umwandlung oder die Dispens in Gelübden ist die Autorität des kirchlichen Oberen erfordert der im Namen Gottes bestimmt, was Gott angenehm ist, nach 2. Kor. 3, „Denn wenn ich etwas nachgelassen habe, was ich nachgelassen, das schenkte ich um euretwillen in der Person Christi.“ Somit wird alle Dispens vom Oberen erteilt zum Nutzen der Kirche — „um euretwillen“ — und zur Ehre Christi, in dessen Namen dispensiert wird.
c) I. Alle anderen Gelübde beziehen sich auf einzelne besondere Tugendwerke. Die Profeß in einem Orden aber unterwirft und widmet das ganze Leben des betreffenden Menschen dem Dienste Gottes. Deshalb sagt die Dekretale (cap. Scripturae, de Voto): „Jener hat nicht sein Gelübde gebrochen, der einen für gewisse Zeit gelobten Dienst umwandelt in die beständig dauernde Beobachtung einer Ordensregel.“ Wie aber das Besondere im Allgemeinen eingeschlossen ist, so ist, wer in einen Orden tritt, nicht mehr gehalten, jene besonderen einzelnen Fasttage z. B. zu halten, die er in der Welt gelobt hatte; denn er stirbt dem ganzen früheren Leben ab, die Last des Ordenslebens ist hinreichend für den Menschen; er braucht nich! noch Anderes hinzuzufügen. II. Manche meinen, deshalb könnten die Kirchenoberen nach reinem Belieben in den Gelübden dispensieren, weil in jedem Gelübde stillschweigend die Bedingung eingeschlossen sei: „wenn es dem Oberen so gefällt“; und so könnte der untergebene ohne weiteres das Gelübde beiseite lassen, so oft auch immer der Obere dies sagte. Das beruht jedoch auf falscher Voraussetzung. Denn der Obere ist nicht vorgesetzt, um zu zerstören; sondern die Gewalt ist ihm gegeben, um aufzubauen, nach 2. Kor. 10. Er kann also nicht befehlen, was an sich Gott mißfällt, und kann nicht hindern, was an sich Gott gefällt: nämlich die Tugendwerke. Letztere also darf der Mensch schlechthin bedingungslos geloben. Den Oberen geht es an, zu unterscheiden, was in höherem Grade tugendhaft und Gott wohlgefällig ist. Also würde in Dingen, die offenbar vorliegen und keinen Zweifel zulassen, die Dispens des Oberen von der Schuld nicht freisprechen; z. B. wenn der Obere dispensieren wollte jemanden vom Gelübde in einen Orden zu treten, während keinerlei Grund für die Dispens vorliegt. Erscheint aber ein Grund, welcher die Sache zum mindesten zweifelhaft macht, so kann der untergebene mit dem Urteile des Oberen sich begnügen, der da dispensiert oder das Gelübde umwandelt. Er darf aber nicht mit seinem eigenen Urteile sich begnügen, denn er vertritt nicht die Macht Gottes; es müßte denn das, was er gelobte, offenbar unerlaubt und ein Befragen des Oberen unmöglich sein. III. Der Papst vertritt die Vollgewalt Christi in der ganzen Kirche. Er kann vollgültig dispensieren in allen Gelübden, die überhaupt eine Dispens zulassen. Den niedrigeren Oberen aber ist die Gewalt anvertraut,Gelübden, die gemeinhin und oft geschehen, zu dispensieren; wie z. B. bei Gelübden, die da Fasten, Pilgerfahrten u. dgl. betreffen. Die bedeutenderen Gelübde, wie das der Keuschheit und des Pilgerns in das heilige Land, sind dem Papste vorbehalten.
