Sechster Artikel. Man darf bei Kreaturen schwören.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Matth. 5. sagt der Herr: „Ich aber sage euch, gar nicht zu schwören weder beim Himmel noch bei der Erde, weder bei Jerusalem noch bei deinem Haupte.“ II. Wer bei den Kreaturen schwört, dem gebührt Strafe, nach 22 Qq. 1 cap. 9.: „Den Kleriker, der bei den Kreaturen schwört, solle man im höchsten Grade tadeln; und wenn er hartnäckig fortfährt, soll man ihn exkommunizieren.“ Also ist das Schwören bei den Kreaturen unerlaubt. III. Der Eid ist ein Akt der Gottesverehrung und somit darf man nur bei Gott schwören. Auf der anderen Seite schwor Joseph (Gen. 42.) „beim Heile des Pharao“; und gemeinhin schwört man bei den Evangelien, bei Reliquien, bei Heiligen.
b) Ich antworte, eine doppelte Art Eid gebe es: Die eine Art Eid geschieht vermittelst einfachen Anrufens; und dieser Eid stützt sich auf die göttliche Wahrheit wie auch der Glaube. Der Glaube aber hat zum ersten, leitenden Gegenstande Gott, die ewige Wahrheit; an zweiter Stelle hat er zum Gegenstande die Kreaturen, aus welchen die Wahrheit Gottes herausleuchtet. Und ähnlich bezieht sich der Eid an erster Stelle auf Gott, dessen Zeugnis angerufen wird; an zweiter Stelle werden Kreaturen dazu aebraucht, insoweit in ihnen die Wahrheit Gottes offenbar wird. So schwören wir bei den heiligen Evangelien d. h. bei Gott, dessen Wahrheit durch die Evangelien offenbar wird; und bei den Heiligen, welche diese Wahrheit festhielten und beobachteten. Die andere Art des Eides vollzieht sich durch Verwünschung. Und in diesen Eid tritt eine Kreatur ein, an welcher der göttliche Richterspruch ausgeführt werden soll; danach pflegt der Mensch zu schwören „bei seinem Haupte“, „bei seinem Sohne“ oder bei einer anderen Sache, die er liebt; wie Paulus that: „Ich rufe Gott zum Zeugen an bei meiner Seele.“ (2. Kor. 1.) Daß nun Joseph „beim Heile des Pharao“ geschworen hat, kann auf beide Weisen verstanden werden; denn die Fürsten der Erde machen offenbar die Wahrheit der göttlichen Gerechtigkeit.
c) I. Der Herr verbot, bei den Kreaturen zu schwören, in der Weise, daß ihnen göttliche Ehre dargebracht würde. Deshalb fügt Hieronymus zu der bereits erwähnten Stelle hinzu: „Die Juden, indem sie bei den Engeln und anderen Kreaturen schworen, ehrten diese letzteren mit göttlichen Ehrenbezeigungen.“ Und aus dem nämlichen Grunde ist es den Klerikern verboten, bei den Kreaturen zu schwören, weil dies zu den Lästerungen der Ungläubigen verleitet. Deshalb sagt Papst Pius: „Wer bei den Haaren oder dem Haupte Gottes schwört oder in anderer Weise Gott lästert, der soll, wenn er Kleriker ist, abgesetzt werden.“ II. Damit beantwortet. III. Der Kult der Gottesverehrung wird demjenigen dargebracht, dessen Zeugnis beim Schwören man anruft. Deshalb heißt es Exod. 23.: „Bei dem Namen fremder Götter sollt ihr nicht schwören.“ In der vorgenannten Weise aber wird den Kreaturen keine göttliche Ehre erwiesen; sie werden nur als offenbarende Zeichen der göttlichen Wahrheit betrachtet.
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