Siebenter Artikel. Der Eidschwur hat verpflichtende Kraft.
a) Dagegen spricht: I. Der Eid soll die Wahrheit einer Aussage bekräftigen. Wenn aber jemand etwas als zukünftig bezeichnet, spricht er die Wahrheit; mag auch das Betreffende nicht eintreten. So hat Paulus nicht gelogen, da er sagte, er werde nach Korinth kommen, und er trotzdem nicht kam. Also verpflichtet ein Eid nicht. II. Der Eid ist ein Tugendakt. Bisweilen wäre es aber gegen die Tugend oder ein Hindernis derselben, wenn jemand vollbrächte, was er geschworen. Also ist der Eid nicht verpflichtend. III. Zuweilen wird jemand gezwungen zu einem Eide. „Solche Eide aber binden nicht,“ nach Extra de jurejur. caap. Verum in ea qu. ist nicht immer der Eid ein verpflichtender. IV. Keiner kann zu zwei einander entgegengesetzten Dingen pflichtet werden. Bisweilen aber ist das, was der schwörende zu bekräftigen beabsichtigt, entgegengesetzt dem, was jener darunter versteht und beasichtigt, welchem der Eid geleistet wird. Auf der anderen Seite heißt es Matth. 5.: „Erfüllet vor Gott, was ihr geschworen habt.“
b) Ich antworte, jegliche Verpflichtung betreffe etwas zu Thuendes oder zu Unterlassendes. Also geht die hier berührte Frage den einfach etwas behauptenden (assertorischen) Eid nicht an und ebenso wenig den Eid, der auf andere Ursachen Bezug nimmt; wie z. B. daß es morgen regne. Hier kommt nur das in Betracht, was jener selbst, der da schwört, thun soll. Wie aber der einfach behauptende, der assertorische Eid, welcher auf das Vergangene oder Gegenwärtige sich erstreckt, Wahrheit haben oder vielmehr auf Wahrheit beruhen muß; so auch der Eid, welcher sich auf das in Zukunft von uns zu Vollbringende, auf das Versprochene, richtet. Beide Arten von Eid also schließen eine gewisse Verpflichtung ein; jedoch in verschiedener Weise. Denn der etwas behauptende oder assertorische Eid verpflichtet nicht mit Rücksicht auf die Sache, welche vergangen oder gegenwärtig ist; wohl aber mit Bezug auf den Akt des Schwörens, daß nämlich geschworen werde nur das, was wahr ist. Im versprechenden Eide aber, der das betrifft, was von uns aus zu geschehen hat, richtet sich die Verpflichtung auf die Sache, welche kraft des Eides versprochen wird; es ist nämlich der schwörende gehalten, dahin zu wirken und das Notwendige zu thun, damit dies etwas dahin und Wirkliches sei, was er versprochen; sonst fehlt dem Eide die Wahrheit. Handelt es sich nun um eine Sache, die nicht in der Gewalt des schwörenden ist, so fehlt dem Eide die Umsicht im Urteilen, wenn nicht die betreffende Sache etwa, als er schwor, in seiner Gewalt war; wie z. B. wenn er eine Geldsumme, die er unter Eid versprach und die er damals hatte, durch Diebstahl oder Raub verloren. In solchem Falle, wie der letztere ist, muß der betreffende thun, was an ihm liegt, wie wenn es sich um ein Gelübde handelte. (Kap. 88, Art. 3.) Handelt es sich aber um eine Sache, die wohl möglich ist, aber nicht erlaubterweise geschehen kann, weil sie an sich schlecht oder ein Hindernis für das Gute ist; so fehlt dem Eide die Gerechtigkeit. (Vgl. Aug. de bono Conjug. 4.) Wer also schwört, daß er etwas thun will, ist dazu gehalten, daß die Wahrheit erfüllt werde; vorausgesetzt, daß die beiden anderen Begleiter da sind.
c) I. Etwas Anderes ist es mit einem einfachen Worte und etwas Anderes mit einem Eide, in welchem das Zeugnis Gottes angerufen wird. Damit ein einfaches Wort wahr sei, ist genügend, daß der innere Vorsatz dem gesprochenen Worte entspreche; denn dieses Wort da ist wahr in seiner Ursache, nämlich dem inneren Vorsatze. Ein Eid aber darf nicht geleistet werden, wenn nicht eine objektive Zuverlässigkeit der unter Eid versprochenen Sache vorhanden ist. Weil also der Eidschwur wie auf seiner Ursache beruht auf der Ehrfurcht vor dem Zeugnisse Gottes, das da angerufen wird; so ist der Mensch gehalten, sein Möglichstes zu thun, damit Wahrheit erlange das, was er geschworen hat; es müßte denn dieses Bemühen ein schlechteres Ergebnis mit Sicherheit zur Folge haben. II. Es kann 1. ein Eidschwur von Anfang an unerlaubt sein: entweder weil das Ergebnis von vornherein ein Übel ist (wie wenn jemand schwört, einen Ehebruch zu begehen); oder weil das Ergebnis ein besseres Gut hindert (wie wenn jemand schwört, in keinen Orden zu treten oder nicht Kleriker zu werden oder keine obrigkeitliche Stelle anzunehmen, wo dies sonst nützlich sein möchte). Im ersten Falle ist das Schwören eine Sünde und die Erfüllung dessen, was man geschworen, ist eine Sünde. Im zweiten Falle ist das Schwören eine Sünde; denn dem heiligen Geiste, der einen besseren Vorsatz, für den jedoch keine Verpflichtung besteht, einflößt, darf niemand widerstehen: — aber er sündigt nicht, wenn er den Eid hält; thut jedoch besser, ihn nicht zu halten. Es kann 2. ein Eid unerlaubt erst werden wegen etwas, was dazwischentritt und woran nicht gedacht worden ist. So konnte der Schwur des Herodes, dem tanzenden Mädchen Alles zu geben, was es fordern würde, im Beginne erlaubt sein; vorausgesetzt nämlich die Bedingung, daß sie fordere, was zu geben der Sittlichkeit entspricht; - die Erfüllung aber war unerlaubt. Deshalb sagt Ambrosius (1. de off. 50.): „Manchmal ist es gegen die Pflicht, das Versprochene zu geben, den Eid also zu halten; wie es bei Herodes der Fall war, der den Mord beging, damit er sein Versprechen halte.“ III. Leistet jemand gezwungen einen Eid, so kann da von einer zweifachen Verpflichtung die Rede sein: 1. dem Menschen gegenüber, welchem er etwas versprochen hat; und diese Verpflichtung fällt zusammen auf Grund des Zwanges; denn wer Gewalt gebrauchte, verdient nicht, daß ihm das Versprochene gegeben werde; — 2. Gott gegenüber, bei dessen Namen das Versprechen geleistet worden ist; und diese Verpflichtung bleibt vor dem Richterstuhle des Gewissens, da jemand vielmehr einen zeitlichen Nachteil erdulden muß, wie den Eid brechen. Vor Gericht kann aber im letzteren Falle der betreffende das Geleistete zurückfordern oder er kann das was geschehen, dem Oberen anzeigen, wenn er auch das Gegenteil geschworen hätte; denn ein solcher Eidschwur wäre gegen die öffentliche Gerechtigkeit und würde somit ein an sich schlechtes Ergebnis haben. Die römischen Päpste nun haben von solchen Eiden die betreffenden gelöst; nicht als ob derartige Eide an sich nicht verpflichtend wären, sondern weil sie die entsprechenden Verpflichtungen aus gerechter Ursache nachließen. IV. Kommt die Verschiedenheit des Verständnisses, welches der schwörende und welches jener, dem etwas zugeschworen worden ist, betreffs des Eidschwures hat, von der List des schwörenden, so muß der Eid gehalten werden gemäß dem gesunden Sinne, den der, dem geschworen worden, damit verbindet. Deshalb sagt Isidor (2. de summo Bono 31.): „Mit welcher Verschlagenheit in den Worten jemand auch immer schwört, Gott, der Zeuge des Gewissens, nimmt dies so an, wie jener, dem geschworen worden ist, es verstanden hat.“ Das gilt vom verschlagenen, betrügerischen Eidschwure; denn Isidor fügt hinzu: „Doppelt ist schuldig, wer sowohl den Namen Gottes vergeblich führt, als auch den Nächsten mit Trug und List überwältigt.“ Hat aber der schwörende nicht täuschen wollen, so gilt die Verpflichtung nach der Absicht des schwörenden. Sonach sagt Gregor (26. moral. 7.): „Die menschlichen Ohren nehmen die Worte auf und beurteilen sie, wie sie außen tönen; die göttlichen Ratschlüsse aber hören die Worte, wie sie vom innersten Herzen kommen.“
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