Dritter Artikel. Gott versuchen ist eine der Tugend der Gottesverehrung entgegengesetzte Sünde.
a) Dem widerspricht: I. Die Wurzel der Sünde, um die es sich hier handelt, ist ein Zweifeln an Gott; das gehört aber dem Unglauben an und somit steht Gott versuchen im Gegensatze zum Glauben. II. Zu Ekkli. 8.: „Vor dem Gebete bereite deine Seele vor und wolle nicht sein wie ein Mensch, der Gott versucht,“ bemerkt die Glosse: „Der da Gott versucht, betet, und das hat der Herr gelehrt; aber er thut nicht, wie der Herr befohlen hat.“ Das gehört aber zur Sünde der Vermessenheit oder zum frevelnden Sündigen auf die Barmherzigkeit Gottes, und steht somit im Gegensatze zur Hoffnung. III. Zu Ps. 77. (et tentaverunt) sagt die Glosse: „Gott versuchen ist mit List etwas erbitten, so daß in den Worten Einfalt sei und im Herzen Bosheit.“ List aber steht gegenüber der Wahrheit. Also steht Gott versuchen nicht gegenüber der Tugend der Religion oder Gottesverehrung. Auf der anderen Seite sagt die eben angeführte Glosse: „Gott versuchen ist ungeregelterweise fordern oder beten.“ In geregelter Weise aber fordern ist ein Akt der Religion. Also ist Gott versuchen entgegen der Religion oder Gottesverehrung.
b) Ich antworte, Zweck der Religion oder Gottesverehrung sei Gott Ehrfurcht darbringen. Alles Jenes also, was der Ehrfurcht vor Gott direkt ermangelt, steht im Gegensatze zur Tugend der Religion. Jemanden aber in genannter Weise versuchen, schließt offenbar einen Mangel an Ehrfurcht diesem gegenüber ein. Denn niemand versucht oder erprobt jemanden, andessen Vorzügen er nicht zweifelt. Also ist Gott versuchen offenbar der Gottesverehrung entgegengesetzt.
c) I. Zur Tugend der Gottesverehrung gehört es, den Glauben zu bekennen durch solche Zeichen, welche Ehrfurcht vor Gott ausdrücken. Also steht es zur Gottesverehrung im Gegensatze, wenn jemand infolge der Ungewißheit im Glauben Manches thut, was der Ehrfurcht vor Gott ermangelt; und derartig ist es: Gott versuchen. II. Wer vor dem Gebete sich nicht vorbereitet, daß er nämlich nicht verzeiht seinem Nächsten oder sich zur Andacht bestimmt, der thut nicht, was an ihm liegt, um von Gott erhört zu werden; — und so versucht er Gott in interpretativer Weise. Nun mag ein solches Versuchen Gottes nicht aus Vermessenheit kommen; jedoch ist dieses selbst der Ehrfurcht vor Gott ermangelnd, daß der Mensch im Gebete sich Gott naht, ohne die gehörige Sorgfalt vorher angewendet zu haben. Denn 1. Petr. 5. heißt es: „Demütiget euch unter der mächtigen Hand Gottes;“ und 2. Tim. 2.: „Sei stets besorgt, dich selbst vorzubereiten Gott gegenüber.“ III. Nicht mit Rücksicht auf Gott sagt man, es bete oder fordere jemand mit List, sondern mit Rücksicht auf den Mitmenschen; denn Gott kennt die Herzen. Also ist die List mit Bezug auf Gott im Versuchen Gottes nur etwas Äußerliches, Nebensächliches; und ist da kein direkter Gegensatz zur Wahrheit.
