Zweiter Artikel. Gott versuchen ist Sünde.
a) Dagegen spricht: I. Gott schreibt keine Sünde vor. Malach. 3. aber heißt es: „Bringe allen Zehnten in mein Haus, daß es Speise gebe in meinem Hause: und erprobet mich darin, sagt der Herr, ob ich nicht auch die Himmelsschleusen öffnen werde.“ II. Wie das Wissen oder Können jemandes auf die Probe gestellt wird, so auch seine Güte und sein Wollen. Man darf aber die Güte auf die Probe stellen, nach Ps. 33.: „Schmecket und sehet, daß der Herr süß ist“; und Röm. 12.: „Damit ihr erprobet, welches der Wille Gottes, daß derselbe gut und wohlwollend und vollkommen sei.“ III. Keiner wird in der Schrift darum getadelt daß er von einer Sünde absteht, sondern vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Achaz aber wird (Isai. 7.) getadelt, weil er dem Herrn, der gesagt hatte: „Fordere ein Zeichen,“ geantwortet: „Ich will nicht fordern und nicht will ich versuchen den Herrn meinen Gott.“ Und darauf mußte er hören: „Ist euch denn etwas Geringes, den Menschen lästig zu fallen, da ihr doch auch meinem Gotte lästig fallet?“ Ebenso sprach Abraham zum Herrn (Gen. 15.) „Woher kann ich das wissen, daß ich dieses Land besitzen werde?“ Gedeon verlangte gleichfalls (Richt. 6.) das erwähnte Zeichen von Gott um des verheißenen Sieges willen. Diese alle aber werden dieserhalb nicht getadelt. Also ist Gott versuchen keine Sünde. Auf der anderen Seite steht Deut. 6.: „Den Herrn deinen Gott sollst du nicht versuchen.“
b) Ich antworte, jedes Versuchen sei ein Probieren. Niemand probiert aber etwas, worüber er Gewißheit hat. Also jedes Versuchen geht von einer gewissen Unkenntnis oder von einem Zweifel aus; und zwar ist diese Unkenntnis oder der Zweifel entweder auf seiten desjenigen, der versucht oder auf seiten anderer, denen jemand die Vorzüge eines Dinges zeigen will; und in dieser letzten Weise wird von Gott gesagt, Er versucht uns. Unwissend sein oder zweifeln aber in dem, was Gottes Vollendung angeht daß Gott nämlich alle Vollendung hat, ist Sünde. Also Gott versuchen, damit der versuchende selber Gottes Kraft erkenne, ist Sünde. Wenn aber der versuchende Gottes Gewalt anderen zeigen will, ist das keine Sünde; denn es liegt dann für das Versuchen eine rechtmäßige Notwendigkeit vor oder ein frommer Nutzen und all jenes Andere, was, damit dies erlaubt sei, gegeben sein muß. So baten die Apostel den Herrn, daß im Namen Jesu Zeichen geschähen, nach Act. 4.; damit nämlich Christi unendliche Mächt offenbar werde.
c) I. Die Lieferung des Zehnten war Gebot. Also bestand 1. die Notwendigkeit einer Verpflichtung; und 2. ein Nutzen, nämlich „daß Speise im Hause sei.“ Das „und erprobet“ wird nicht als Zweck verstanden, wegen dessen sie den Zehnten liefern sollten; sondern als Folge, daß sie, wenn sie den Zehnten lieferten, als erste Folge erfahren würden die Wohlthaten Gottes. II. In doppelter Weise kann man die göttliche Güte erkennen: 1. in spekulativer, rein beschaulicher Weise; und so darf man nicht zweifeln oder erproben wollen, ob Gottes Wille süß sei; — 2. kraft der Erfahrung; und so sollen wir Gott dienen, damit wir erfahren, wie süß der Herr sei. (Vgl. Dionysius über Hierotheus 2. de div. nom.; „er erfuhr das Göttliche,“ sagt von ihm Dionysius.) III. Der König Achaz sollte von Gott ein Zeichen erhalten, nicht allein für sich, sondern für die Belehrung des ganzen Volkes; und deshalb wird er getadelt als Hindernis für das Gemeinbeste, dem dieses Zeichen dienen sollte. Er hätte also Gott nicht versucht; denn 1. befahl es ihm Gott; und 2. war es zum Besten aller. Abraham verlangte ein Zeichen aus göttlichem Antriebe und sündigte sonach nicht. Gedeon scheint aus Schwäche ein Zeichen verlangt zu haben (nach Aug. sup. Judic. Qq. 49.) und sündigte somit. Auch Zacharias sündigte, als er (Luk. 1.) zum Engel sprach: „Woher soll ich das wissen?“ Wenn also jemand ein Zeichen von Gott erbittet, um Gottes Macht, Güte, Weisheit zu erproben, so heißt das: Gott versuchen; — fleht er um ein Zeichen, damit er belehrt werde, welches in einem besonderen Falle der Wille Gottes, sei; so ist dies keine Sünde.
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