Zweiter Artikel. Jeder Meineid ist eine Sünde.
a) Dem wird widersprochen: I. Wer nicht erfüllt, was er eidlich versprochen, wird als meineidiger betrachtet. Wer aber etwas Unerlaubtes geschworen; der darf das nicht thun, was er geschworen. Nun müßte er es thun, weil er sonst meineidig würde. Also würde ein solcher perplex sein. II. Keiner sündigt, wenn er Besseres thut. Es kann aber z. B. einer, der geschworen hat, in keinen Orden zu treten, das Bessere thun und in einen solchen treten. Also sündigt er nicht, wenn er gegen seinen Eid thut und somit meineidig wird. III. Wer geschworen hat, den Willen eines anderen zu thun, wird meineidig, wenn er denselben nicht thut. Er sündigt aber manchmal nicht, falls er ihn nicht thut; wenn der andere nämlich etwas allzu Hartes und Unerträgliches will. Also ist nicht jeder Meineid Sünde. IV. Der versprechende Eid erstreckt sich auf die Zukunft. Nun kann manchmal die mit dem Eide verbundene Verpflichtung fortfallen infolgedessen, was in der Zukunft geschieht; wie wenn z. B. eine Stadt beschworen hat, etwas zu thun, und nachher kommen neue Bürger hinzu, die dies nicht beschworen haben; oder wenn ein Kanonikus geschworen hat, die Statuten seiner Kirche zu beobachten, und es werden später mehrere neue Statuten gemacht. Auf der anderen Seite fagt Augustin (28. de verb. ap. Jacobi): ,Schaut, wie dieses wilde Tier (der Meineid) verabscheuenswert ist und herausgejagt werden muß aus dem Bereiche der menschlichen Angelegenheiten.“
b) Ich antworte, schwören heiße: Gott zum Zeugen anrufen. Es ist aber Mangel an Ehrfurcht vor Gott, wenn Er als Zeuge angerufen wird für etwas Falsches; denn damit ist gesagt, Gott kenne die Wahrheit nicht oder Er wolle das Falsche als wahr bezeugen. Also ist der Meineid in jedem Falle eine Sünde gegen die Tugend der Religion.
c) I. Wer etwas Unerlaubtes beschwört, in dessen Eid mangelt die Gerechtigkeit. Wenn er aber das Beschworene nicht thut, sündigt er gar nicht; denn er hat nicht etwas beschworen, was erlaubterweise beschworen werden konnte. II. Wer schwört, er wolle kein Almosen geben, nicht in einen Orden treten etc., in dessen Eid mangelt das umsichtige Urteil. Thut er also was besser ist, so ist das kein Meineid, sondern zum Meineide im Gegensatze; denn das Gegenteil von dem, was er nun thut, konnte nicht beschworen werden. III. In diesem Falle ist beim Schwure immer die Bedingung mit verstanden, daß der andere Ehrbares, Anständiges, nichts zu Hartes etc. will. IV. Der Eid ist etwas Persönliches. Ein neu zutretender Bürger also hat keine diesbezügliche Verpflichtung kraft des Eides, wohl aber kraft einer gewissen Treue, infolge deren er gehalten ist, auch die Lasten derer zu tragen, deren Genosse und Mitbürger er geworden. Der betreffende Kanonikus ist ebenso nicht kraft des Eides verpflichtet, die neu gemachten Statuten zu beobachten; er hätte denn bei seinem Eide die Absicht gehabt, auch die künftigen Statuten zu halten. Aber er ist zu den Statuten, die hinzutreten, verpflichtet kraft der Gewalt der Statuten selber; vgl. I., II. Kap. 96 Art. 4.
