Dritter Artikel. Jeder Meineid ist eine Todsünde.
a) Dem steht entgegen: I. Extra de Jurejur., cap. Verum heißt es: „Es ist gefragt worden, ob jene von dem Bande des Eides frei sind, welche denselben wider ihren Willen, nur um Leben und Vermögen zu retten, geleistet haben. Wir wollen darin nichts Anderes entscheiden, wie unsere Vorgänger, die römischen Päpste, entschieden haben; welche erachteten, von so geleistetem Eide sei zu entbinden. Damit jedoch mit Vorsicht verfahren werde und die Materie verschwinde für falsche Eide, so möge man das ihnen nicht so ausdrücklich sagen, daß sie die geschworenen Eide nicht zu halten haben; aber man möge diese selben nicht, falls sie auf die erwähnten Eide nicht achthaben, wie für eine Todsünde strafen.“ Also ist nicht jeder Meineid Todsünde. II. Chrysostomus (44. in Evgl. op. imp.) sagt: „Schwerwiegender ist es, bei Gott zu schwören wie bei den Evangelien.“ Nicht immer aber sündigt schwer, wer aus Scherz oder unbedachtsam im Gespräche „bei Gott“ Falsches schwört. Also wird das auch nicht immer schwere Sünde sein, wenn jemand feierlich bei den Evangelien geschworen hat und diesen Schwur bricht. III. Nach 6 Qq. 1. cap. Infames wird der meineidige ehrlos. Es scheint aber nicht, daß man wegen eines jeden falschen Schwures dieser Strafe unterliegt; z. B. nicht wegen eines falschen, assertorischen Eides. Also ist nicht jeder Meineid schwere Sünde. Auf der anderen Seite ist jede Sünde, welche in unmittelbarem Gegensatze zu einem göttlichen Gebote steht, eine schwere. Lev. 19. aber heißt es: „Du sollst in meinem Namen nicht falsch schwören.“
b) Ich antworte, daß jene Sünden, welche an sich nur läßliche oder in ihrer „Art“ betrachtet selbst gute Werke sind, Todsünden werden, wenn sie aus Verachtung Gottes hervorgehen. Also ist mit weit mehr Recht das, was seinem Wesen nach die Verachtung Gottes einschließt, schwere Sünde. Der Meineid aber schließt in seinem Wesenscharakter die Verachtung Gottes ein; denn von daher kommt die Schuld in ihm, weil er Mangel an Ehrfurcht vor Gott ist. Also ist er seinem innersten Wesen nach Todsünde.
c) I. Der Zwang nimmt dem versprechenden Eide nicht die verpftichtende Kraft rücksichtlich dessen, was erlaubterweise geschehen kann. Wenn also jemand, der gezwungen einen Eid geleistet hat, nicht erfüllt, was er geschworen; so sündigt er nichtsdestoweniger schwer durch Meineid. Er kann jedoch auch von der Verpflichtung des Eides gelöst werden durch den Papst, zumal wenn die Furcht, die ihn zum Eide genötigt hat, eine solche ist, die auch auf ein standhaftes Gemüt einwirkt; wie die Furcht vor dem Tode, die also gerechtfertigt ist. Was da aber gesagt wird, solche seien nicht zu bestrafen wie für eine Todsünde, ist nicht deshalb gesagt, weil sie nicht schwer sündigen, sondern weil eine mindere Strafe ihnen aufgelegt wird. II. Wer im Scherze falsch schwört, vermehrt nach einer Seite hin der Mangel an Ehrfurcht und wird somit von der Todsünde nicht entschuldigt. Wer aber unbedachtsam falsch schwört, falls er das Falsche noch zur Zeit bemerkt, ist ebenfalls von der Todsünde und von der Verachtung Gottes nicht entschuldigt; bemerkt er es nicht, so thut er es absichtslos und hat dann keinen Meineid auf dem Gewissen. Eine schwerere Sünde ist es nun, wenn jemand feierlich bei den Evangelien falsch schwört, wie wenn er in gewöhnlicher Rede Falsches aus Leichtsinn beschwört; sowohl wegen des damit verbundenen Ärgernisses, als auch wegen der größeren Überlegung. Sind aber sonst die Umstände gleich, so ist es schwerer, bei Gott falsch zu schwören wie bei den Evangelien. III. Nicht für jede Todsünde wird jemand vom öffentlichen Rechte als ehrlos erklärt. Deshalb ist dies keine richtige Folgerung, daß wenn jener, der einen falschen behauptenden oder assertorischen Eid z. B. schwört, nicht durch das Recht selber gleich ehrlos wird, sondern erst nach dem Urteilsspruche des Richters, falls eine Anklage vorliegt, daß dieser schon deshalb keine Todsünde begangen habe. Deshalb nur wird jener, der einen feierlich gemachten versprechenden Eid bricht, durch das Recht selber, ohne eigens gefällten Richterspruch, für ehrlos erklärt, weil in seiner Gewalt es bleibt, daß er, nachdem er geschworen, dem Schwure seine Wahrheit giebt; was beim behauptenden oder assertorischen Eide nicht der Fall ist.
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