Dritter Artikel. Der Geiz steht entgegen der Freigebigkeit.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Zu Matth. 5. (Beati qui esuriunt) bemerkt Chrysostomus (15. in Matth.) „Doppelt ist die Gerechtigkeit: die eine bezieht sich auf Alles, die andere steht speciell dem Geize gegenüber;“ vgl. Aristoteles 5 Ethic. 2. Also ist der Geiz im Gegensatze zur Gerechtigkeit. II. Der Geiz ist ein Überschreiten des gebührenden Maßes in den besessenen Dingen. Derartiges Maß aber wird durch die Gerechtigkeit festgesetzt. III. Die Freigebigkeit steht in der Mitte zwischen zwei einander entgegengesetzten Lastern. (2 Ethic. 7.) Der Geiz aber hat kein im Gegensatze zu ihm stehendes Laster. (5 Ethic. 1.) Also steht der Geiz nicht der Freigebigkeit gegenüber. Auf der anderen Seite heißt es Ekkle. 5.: „Der geizige wird nicht vom Gelde gesättigt und wer das Geld liebt, wird keine Frucht davon haben.“ Ungeregelt aber das Geld lieben und nie davon genug haben, steht entgegen der Freigebigkeit, welche im Begehren nach Geld die Mitte einhält.
b) Ich antworte, der Geiz schließe mit Rücksicht auf den Reichtum Maßlosigkeit in doppelter Weise in sich ein: 1. unmittelbar, soweit es auf das Annehmen und Aufbewahren von Geld und Gut ankommt, wenn nämlich jemand Geld erwirbt über das ihm geschuldete Maß hinaus dadurch daß er fremdes Gut an sich reißt und behält; und danach ist der Geiz entgegengesetzt der Gerechtigkeit; wie dies Ezechiel 22. nimmt: „Seine Fürsten in seiner Mitte wie Wölfe, welche Beute rauben, um Blut zu vergießen; und wie geizige, die nur auf Gewinn sinnen.“ Sodann 2. mittelbar, wenn jemand zu viel sein eigenes Geld liebt oder über das Maß hinaus danach begehrt oder zu sehr sich daran ergötzt; und danach steht der Geiz gegenüber der Freigebigkeit, welche dergleichen innere Neigungen regelt, Demgemäß sagt Paulus (2. Kor. 9.): „Sie mögen dafür sorgen, daß der versprochene Segen bereit sei; und daß derselbe so ein wirklicher Segen und nicht Geiz werde,“ nämlich: „daß es ihnen nicht leid thue, weil sie geben, und es nur wenig sei, was sie geben.“
c) I. Da ist die Rede vom Geize nach der erstgenannten Auffassung; den Geiz in der zweiten Weise nennt Aristoteles: Mangel an Freigebigkeit. II. Die Gerechtigkeit bestimmt die rechte Mitte zwischen Empfangen und Geben nach dem Gesetze, daß der Mensch kein fremdes Gut nehme und behalte; die Freigebigkeit regelt die Anhänglichkeit an das Geld von seiten der inneren Leidenschaften und ist da bloß von moralischer Verpflichtung die Rede. III. Der Geiz als der Gerechtigkeit entgegengesetzt hat kein ihm entgegengesetztes Laster. Denn der Geiz will mehr haben als was geschuldet ist; und diesem steht entgegen das „weniger haben“, was nicht Schuld, sondern Strafe ist. Der Geiz aber als der Freigebigkeit entgegen hat als entgegengesetztes Laster die Verschwendung.
