Fünfter Artikel. Die Stärke festigt vorzugsweise gegen die Todesgefahren im Kriege.
a) Dem widerspricht Folgendes: I. Die Märtyrer sind nicht im Kriege gestorben und werden doch wegen ihrer Seelenstärke gelobt. II. Ambrosius (1. de offic. 35.) sagt: „Die Stärke berücksichtigt einerseits Kriegerisches und andererseits Häusliches.“ Cicero (1. de offic.): „Die meisten meinen, der Krieg stehe allen friedlichen Angelegenheiten in der Stadt voran; diese Meinung muß man mindern. Wollen wir recht urteilen, so sind viele Angelegenheiten in der Stadtverwaltung wichtiger wie die kriegerischen Dinge.“ Die Stärke aber richtet sich auf das Größere und Bedeutendere; also nicht vorzugsweise auf die Todesgefahr im Kriege. III. „In der Absicht, Frieden zu haben, führt man Krieg,“ sagt Augustin. (19. de civ. Dei 12.) Um des zeitlichen Friedens aber darf sich niemand den Gefahren des Todes aussetzen, da solcher Friede die Gelegenheit für viele Ausschweifungen bildet. Also besteht die Tugend der Stärke nicht gerade wesentlich darin, daß sie festigt gegen die Todesgefahren im Kriege. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3 Ethic. 6.): „Die Stärke besteht im höchsten Grade darin, daß sie gegen Todesgefahren im Kriege die Seele stählt.“
b) Ich antworte, die Stärke festige die Seele gegen die größten Gefahren. Nun gehört es zur Stärke als einer Tugend, daß sie ihrem Wesenscharakter gemäß auf etwas Gutes sich richtet. Somit läßt sich der Mensch nur deshalb nicht durch Todesgefahr zurückhalten, weil er ein Gut erreichen will. Nun droht die Todesgefahr, welche von einer Krankheit oder von Meeressturme oder von Räubern oder von sonst woher kommt, nicht jemandem direkt aus dem Grunde, weil er etwas an sich Gutes erreichen will. Dagegen tritt man der Todesgefahr im Kriege direkt gerade deshalb entgegen, weil das Gemeinbeste durch einen gerechten Krieg verteidigt wird. Ein solch gerechter Krieg jedoch kann auf doppelte Weise bestehen: einmal allgemein, insofern man in der Schlachtreihe fechtet; dann in beschränkten und besonderen Verhältnissen, insofern z. B. ein Richter oder auch eine Privatperson nicht vom rechten Urteilsspruche abgeht aus Furcht vor dem drohenden Schwerte oder vor sonst einem todbringenden Übel. Für Beides stählt die Tugend der Stärke die Seele, daß diese den Tod nicht fürchte; und so ist es wohl wahr, daß die Stärke zumal für Todesgefahren im Kriege die Seele stählt. Der starke verhält sich aber auch gut mit Rücksicht auf die Todesgefahren jeder anderen Gattung, zumal ja der Mensch für jede Tugend sich der Gefahr des Todes aussetzen kann; wie wenn jemand den pestkranken Freund pflegt ohne die Ansteckung und somit den Tod zu fürchten, oder wenn jemand eine fromme Pilgerfahrt nicht unterläßt aus Furcht vor Schiffbruch.
c) I. Die Märtyrer hielten den Kampf aus, um das höchste Gut zu erreichen; und somit wird ihre Stärke im höchsten Grade gelobt. Ihr Kampf war ja auch ein Krieg, wie Paulus sagt: „Stark sind sie geworden im Kriege.“ II. Auch in der friedlichen Verwaltung von Staatsangelegenheiten kann Todesgefahr von Feinden her drohen; also besteht da auch mit vollem Recht die eigentliche Seelenstärke. III. Der Friede ist an sich ein Gut und wird deshalb kein Übel, weil sich dessen viele schlecht bedienen; denn viele bedienen sich desselben gut. Auch werden durch den Frieden viele größere Übel verhütet oder gestraft, wie Gottesraub, Mord etc., als jene Übel es sind, die daraus eine Gelegenheit für sich nehmen und die zumal im fleischlichen Ergötzen bestehen.
