Zweiter Artikel. Die Sünde der Furcht steht im Gegensatze zur Stärke.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Stärke richtet sich auf die Todesgefahren. Die Sünde der Furcht aber hat nicht immer zum Gegenstande Todesgefahren, wie die Glosse zu Ps. 127. sagt: „Die Menschenfurcht macht, daß man fürchtet, seine Güter zu verlieren oder am Körper Schaden zu leiden“ — und zu Matth. 26. (Oravit tertio): „Es giebt eine Furcht vor dem Tode, vor dem Schmerze, vor der Verachtung;“ also eine dreifache Furcht. Also ist da kein Gegensatz zwischen der Furcht und der Stärke. II. Die Stärke wird gelobt, weil man sich kraft derselben den Todesgefahren aussetzt. Bisweilen aber giebt sich jemand den Tod aus Furcht vor der Knechtschaft oder vor der Schande; wie Cato (Aug. 1. de civ. Dei 24.), damit er nicht ein Knecht des Cäsar werde. Also hat die Furcht vielmehr Ähnlichkeit mit der Stärke und steht nicht zu ihr im Gegensatze. III. Alle Verzweiflung kommt von einer Furcht. Die Verzweiflung aber steht nicht im Gegensatze zur Stärke, sondern vielmehr zur Hoffnung. (I., II. Kap. 40, Art. 4.) Also steht auch die Sünde der Furcht nicht im Gegensatze zur Stärke. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Aristoteles 2 Ethic. 7.
b) Ich antworte, jede Furcht komme von der Liebe. Denn jeder fürchtet nur das Gegenteil von dem, was er liebt. Die geregelte Liebe aber ist eingeschlossen in jeder Tugend; denn der tugendhafte liebt das der Tugend entsprechende Gute. Und die ungeregelte Liebe ist eingeschlossen in jeder Sünde; denn aus ungeregeltem Lieben kommt ungeregeltes Begehren. Also ist ähnlicherweise die ungeregelte Furcht in jeder Sünde eingeschlossen; wie der geizige den Verlust des Geldes fürchtet, der unmäßige den Verlust des Ergötzens etc. Die hauptsächliche Furcht aber richtet sich auf die Todesgefahren. (3 Ethic. 6.) Und deshalb steht eine derartig ungeregelte Furcht gegenüber der Stärke, deren Gegenstand ja die Todesgefahren sind. Danach also sagt man antonomastice die Furcht stehe gegenüber der Stärke.
c) I. Jene Stellen sprechen von der Furcht im allgemeinen, wie sie in jeder Sünde ist. II. Die menschlichen Handlungen werden nach dem Zwecke bemessen. Dem starken nun kommt es zu, sich den Todesgefahren auszusetzen um des Guten willen. Wer aber sich dem Tode aussetzt, damit er Knechtschaft oder etwas Lästiges fliehe, der wird von der Furcht überwunden; und das ist der Stärke direkt entgegengesetzt: „Sterben, um dem Mangel, der Begierde oder sonst etwas Traurigem zu entfliehen, ist Sache des furchtsamen, nicht des starken; Weichlichkeit ist es, Lästiges fliehen,“ heißt es 3 Ethic. 7. III. Wie die Hoffnung das Princip der Kühnheit ist, so die Furcht das der Verzweiflung. Wie also für den starken, welcher der Kühnheit mit Maß sich bedient, die Hoffnung vorausgesetzt wird; so geht umgekehrt die Verzweiflung von einer Furcht aus. Nicht aber braucht jede Verzweiflung jeder beliebigen Furcht hervorzugehen, sondern aus einer der „Art“ nach entsprechenden Furcht. Die Verzweiflung jedoch, welche der Hoffnung entgegensteht, bezieht sich auf eine ganz andere „Art“, nämlich auf göttliche Dinge; — während die Furcht, welche der Stärke entgegengesetzt ist, auf die Todesgefahren sich bezieht. Also hinkt der entgegengestellte Beweis.
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