Zweiter Artikel. Die Hochherzigkeit richtet sich auf große Ehre.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Groß“ und „klein“ sind äußere Zuthaten zur Ehre, die deren Wesen nicht ändern. Der Wesenscharakter der Hochherzigkeit aber geht einfach auf Ehre; Also nicht auf große Ehre. II. Wie die Hochherzigkeit die Ehre, so hat die Sanftmut den Zorn zum Gegenstande. Das Wesen der Sanftmut aber verlangt es nicht, großen oder kleinen Zorn vor sich zu haben. Also ist dies ähnlich auch bei der Hochherzigkeit nicht der Fall. III. Die kleinere Ehre ist weniger entfernt von der großen Ehre wie die Unehre. Die Hochherzigkeit aber weiß sich gut zu verhalten gegenüber der Unehre; also auch gegenüber der kleineren Ehre. Auf der anderen Seite steht Aristoteles. (2 Ethic. 7.)
b) Ich antworte, die Tugend sei eine Vollendung des Vermögens, soweit das Äußerste dieses letzteren in Betracht kommt. Die Vollendung also eines Vermögens wird nicht beurteilt nach irgend einer beliebigen Thätigkeit, sondern nach einer solchen, welche eine gewisse Bedeutung oder Schwierigkeit hat; insofern jedes Vermögen, so gering es auch ist, etwas durch seine Thätigkeit leisten kann, je nach seiner Anlage. Demnach gehört es zum Wesen der Tugend, auf das Gute und Schwierige sich zu richten. Nun kann 1. eine Schwierigkeit darin gefunden werden mit Rücksicht auf die Vernunft, nämlich die rechte Mitte im entsprechenden Gegenstande zu finden; und dieses Schwierige wird nur in jenen Tugenden gefunden, die in der Vernunft ihren Sitz haben und in der Thätigkeit der Gerechtigkeit, wo diese Mitte außen in den Dingen aufgefunden werden muß. Die zweite Schwierigkeit hält sich auf seiten des Gegenstandes, der da von sich aus der auf ihn bezüglichen Bewegung der Vernunft widerstreitet; und dieses Schwierige findet sich zumal in den anderen moralischen Tugenden, die sich mit den Leidenschaften, also mit etwas an sich der Vernunft Widerstreitenden, beschäftigen. (Dionys. 4. de div. nom.) Bei solchen Leidenschaften ist nun zu berücksichtigen, daß manche als Leidenschaften selber eine große Widerstandskraft gegen die Vernunft besitzen; manche aber mehr auf Grund der Gegenstände, auf welche sie sich richten. Die ersteren haben nur insoweit große Widerstandskraft als sie heftig sind; da es dem sinnlichen Begehren, wo die Leidenschaften sich finden, eigen ist, von Natur der Vernunft Unterthan zu sein. Die Tugenden also, welche auf diese Leidenschaften sich richten, stehen nur zu dem Großen, zum Heftigen in diesen Leidenschaften im Gegensatz; wie die Stärke sich mit den größten Befürchtungen beschäftigt, die Mäßigkeit mit den heftigsten sinnlichen Ergötzungen, die Sanftmut mit den höchsten Stufen des Zornes. Andere Leidenschaften aber haben große Widerstandskraft gegen die Vernunft auf Grund der äußeren Dinge selbst, die da Gegenstände der Leidenschaften sind, wie die Liebe zum Gelde oder Ehrbegier. Und da muß die Tugend sich beschäftigen nicht nur mit dem, was als Größtes und Höchstes in ihnen auftritt, sondern auch mit dem Geringeren und Mittelmäßigeren; weil die äußeren Dinge nämlich, als für das menschliche Leben notwendige, immer eine große Anziehungskraft ausüben. Deshalb bestehen gegenüber dem Begehren nach Geld zwei Tugenden: eine, welche sich auf mäßige, geringere Ausgaben richtet, d. h. die Freigebigkeit; und die zweite, welche große Geldausgaben zu regeln hat, die Prachtliebe. Ähnlich geht es mit der Ehre. Da sind zwei Tugenden. Die eine gegenüber den geringeren Ehren, welche keinen eigenen Namen hat und sonach benannt wird nach ihren beiden Elementen, nämlich φιλοτιμία Ehrliebe, und ἀθιλοτιμία „ohne Ehrgeiz“; — denn bisweilen wird jemand gelobt, weil er in gebührender Weise Ehre liebt; und bisweilen wird jemand gelobt, weil er um die Ehre sich nicht viel bekümmert; beides in geregelter Weise. Auf große Ehren erstreckt sich aber die Hochherzigkeit und danach strebt der hochherzige; auf das nämlich was vieler Ehre wert ist.
c) I. „Klein“ und „groß“ ist äußerlich für die Ehre, wenn diese an sich betrachtet wird. Einen großen Unterschied macht es aber, insoweit das Verhältnis zur Vernunft man erwägt. Denn bei weitem schwerer ist es, das von der Vernunft vorgeschriebene Maß zu beachten bei großen Ehren wie bei kleinen. II. Im Zorne und in anderen Leidenschaften hat eben nur das Größte, das Heftige bemerkbare Schwierigkeit; und deshalb darf nur mit Rücksicht darauf eine Tugend bestehen. Anders verhält es sich mit der Ehre, dem Reichtum; das sind Dinge, welche außerhalb der Seele bestehen. III. Wer gut Großes anwendet, wird um so besser Kleines gebrauchen. Der hochherzige also berücksichtigt große Ehren, insoweit er sie verdient hat, oder auch wie geringer als die, welche er verdient hat; kann doch die Tugend gar nicht ausreichend von Menschen geehrt werden, da ihr von Gott selber Ehre gebührt. Deshalb erhebt sich der hochherzige nicht über selbst, wenn ihm große Ehren werden. Denn er hält sie nicht für höher als er verdient hat; sondern er verachtet sie vielmehr, und um so mehr verachtet er mäßige oder kleine Ehren. Ebenso wird er durch Unehre nicht gebrochen, sondern er verachtet sie; denn er erachtet, daß sie ihm unverdienterweise zu teil wird.
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