Erster Artikel. Die Hochherzigkeit hat zum Gegenstande die Ehren.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Hochherzigkeit ist in der Abwehrkraft, der irascibilis; wie aus dem Worte selbst hervorgeht, das da etwas Hohes, Großes, Schwieriges ausdrückt. Die Ehre aber ist etwas Begehrenswertes. Also beschäftigt sich die Hochherzigkeit nicht mit den Ehren. II. Die Hochherzigkeit ist eine moralische Tugend. Sie hat aber nicht zum Gegenstande die Thätigkeiten nach außen hin; denn sie ist kein Teil der Gerechtigkeit. Also hat sie zum Gegenstande ihres Regelns und Leitens die Leidenschaften. Die Ehre aber ist keine Leidenschaft. III. Der Charakter des Wesens der Hochherzigkeit gehört mehr zum Verfolgen von etwas wie zum Fliehen; denn hochherzig wird jemand genannt, weil er zu Hohem hin sein Herz hat. Die Ehren aber machen nicht, daß die tugendhaften gelobt werden; vielmehr fliehen die tugendhaften alle Ehre und werden danach gelobt. Also die Hochherzigkeit hat mit den Ehren nichts zu thun. Auf der anderen Seite ist nach 4 Ethic. 3, „Gegenstand der Hochherzigkeit Ehre und Unehre.“
b) Ich antworte, die Hochherzigkeit schließe gemäß ihrem Namen die Ausdehnung gewissermaßen des Herzens zu Hohem ein. Nun wird das Verhältnis der Tugend zu zwei Dingen erwogen: 1. zum Gegenstände, mit dem sich ihr Wirken beschäftigt; und 2. zur eigenen Thätigkeit, die da besteht im gebührenden Gebrauche eines solchen Gegenstandes. Weil aber die Tugend von seiten der Thätigkeit in erster Linie bestimmt wird, so wird in leitender Weise jemand hochherzig genannt, weil sein Herz auf eine hohe Thätigkeit hin gerichtet ist. Es kann jedoch eine Thätigkeit „hoch“ oder „groß“ genannt werden einmal gemäß einem gewissen Verhältnisse; dann schlechthin. In erstgenannter Weise ist eine Thätigkeit „hoch“, wenn man sich eines an sich geringen Gegenstandes in einer im höchsten Grade guten Weise bedient; — schlechthin „hoch“ ist eine Thätigkeit, die sich im höchsten Grade gut eines sehr wichtigen Gegenstandes bedient. Die in den Gebrauch des Menschen kommenden Dinge nun sind die außen befindlichen Güter. Und unter diesen steht schlechthin am höchsten die Ehre; sowohl weil sie als ein gewisses Zeugnis der innen bereits bestehenden, wahren Vorzüge am nächsten der Tugend steht, als auch weil sie Gott und den besten dargebracht wird; und ebenso weil die Menschen, um Ehre zu erlangen und Tadel zu vermeiden, alles Andere hintenansetzen. So aber wird jemand großherzig genannt wegen dessen, was schlechthin und allseitig etwas Großes ist, wie jemand als ein starker bezeichnet wird wegen dessen, was schlechthin schwierig ist. Und somit berücksichtigt der hochherzige in erster Linie die Ehren.
c) I. Böses und Gutes schlechthin betrachtet, gehört zur Begehrkraft. Insoweit jedoch der Charakter des Schwierigen hinzutritt, gehört es zur Abwehrkraft. Und auf diese Weise, weil die Ehre den Charakter des Hohen und schwer Erreichbaren hat, richtet sich die Hochherzigkeit auf die Ehren. II. Die Ehre ist keine Leidenschaft; wohl aber der Gegenstand einer solchen, nämlich der Hoffnung, welche sich auf ein schwer erreichbares Gut richtet. Unmittelbar also richtet sich die Hochherzigkeit zwar auf die Leidenschaft der Hoffnung; mittelbar aber auf die Ehre; — wie ja auch die Stärke sich auf die Todesgefahren richtet, insoweit diese Gegenstand der Furcht und der Kühnheit sind. III. Wer um der Ehre willen nichts Unerlaubtes thut und dieselbe nicht allzu hoch achtet, ist lobenswert. Wer aber so die Ehren verachten wollte, daß er nichts thäte, was der Ehre wert ist, der würde Tadel verdienen. Die Hochherzigkeit also trägt Sorge, das zu thun, was Ehre verdient; nicht aber in der Weise, daß sie für etwas Großes hielte die Ehre vor den Menschen.
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