Dritter Artikel. Die Tugend der Geduld kann niemand besitzen ohne die Gnade.
a) Dagegen spricht: I. Wozu die Vernunft in höherem Grade hinneigt, das kann auch in höherem Grade die vernünftige Kreatur leisten. Mehr aber neigt die vernünftige Kreatur dazu hin, daß sie Übles leide um eines Gutes willen, als daß sie Übles leide um etwas Schlechtes willen. Nun leiden manche geduldig ohne den Beistand der Gnade aus eigener Kraft um etwas Schlechtes willen, denn „Vieles ertragen die Menschen,“ sagt Augustin (I. c. 3.) „an Mühseligkeiten und Schmerzen um dessentwillen, was sie sündhaft lieben.“ Also kann der Mensch um so mehr ohne den Beistand der Gnade Übles erleiden um eines Gutes willen; nämlich wegen der Tugend d. h. er kann die Tugend der Geduld besitzen, ohne die Gnade zu haben. II. Viele Heiden haben um der Tugend willen, z. B. damit sie nicht das Vaterland verrieten oder Unanständiges thäten, zahlreiches Üble erlitten. Sie waren also wahrhaft geduldig und hatten nicht die Gnade. III. Um der körperlichen Gesundheit willen ertragen manche viel Bitteres. Das Heil der Seele aber hat nicht minder den Charakter des Begehrenswerten. Also kann, wie wegen des Leibes, so auch wegen der Seele einer wahrhaft geduldig sein, ohne die Gnade zu haben. Auf der anderen Seite heitzt es Ps. 61.: „Von Ihm“ d. h. von Gott „ist meine Geduld.“
b) Ich antworte, wie Augustin schreibt (I. c.) „mache die Gewalt des Verlangens, daß man Mühe und Arbeit und Schmerz geduldig trägt; und niemand entschließt sich von freien Stücken zu ertragen was quält außer um dessentwillen was ergötzt.“ Denn vor dem Schmerze und der Trauer an sich betrachtet schreckt der Geist zurück; und niemand würde das Leid erwählen, wenn er nicht etwas Gutes dadurch zu erlangen hoffte. Also muß dasjenige Gut, um dessentwillen jemand Übles leiden will, mehr geliebt und ersehnt werden wie jene anderen Güter, deren wir durch den Schmerz beraubt werden und deren Abwesenheit wir geduldig tragen. Daß aber jemand das der Gnade entsprechende Gut vorzieht allen natürlichen Gütern, durch deren Verlust der Schmerz entsteht, kommt von der heiligen Liebe, welche bewirkt, daß wir Gott über Alles lieben. Also wird offenbar die Geduld durch die Liebe verursacht, wie Paulus sagt: „Die Liebe ist geduldig.“ Die Liebe aber können wir nur besitzen durch die Gnade, nach Röm. 5.: „Die heilige Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben worden.“ Also kann niemand ohne Gnadenbeistand Geduld haben.
c) I. In der unversehrten menschlichen Natur würde die Neigung der Vernunft vorgewaltet haben; in der verdorbenen waltet die Begierlichkeit vor. Und deshalb erduldet der Mensch lieber Übles wegen jener Güter, in denen die Begierlichkeit sich ergötzt, als wegen der zukünftigen Güter, welche die Vernunft vorzieht. Nur in letzterer Weise Übles ertragen ist Sache der wahren Geduld. II. Das Gute, welches dem staatlichen Gemeinbesten entspricht, steh im gebührenden Verhältnisse zur natürlichen Vernunft und wird durch diese bemessen. Also kann der Mensch danach streben ohne den Beistand der heiligmachenden Gnade, wenn auch nicht ohne den allgemeinen Beistand Gottes. Das Gut aber, welches der heiligmachenden Gnade entspricht, ist erhaben über alle Natur. Danach kann der Mensch also nicht streben vermittelst seiner natürlichen Kräfte. Somit stimmt der Vergleich nicht. III. Natürlicherweise liebt der Mensch sein eigen Fleisch; die Liebe aber zum Gute der Gnade ist eine übernatürliche. Also stimmt auch dieser Vergleich nicht.
