Vierter Artikel. Die Geduld ist ein Teil der Stärke.
a) Dem steht entgegen: I. Der eigenste, hauptsächlichste Akt der Stärke ist: Ertragen. Also ist Geduld ebensoviel wie Stärke; denn Gregor (hom. 35. in Evgl.) sagt: „Die Geduld besteht im Ertragen von Übeln, die von außen kommen.“ Also ist die Geduld kein Teil der Stärke. II. Die Stärke beschäftigt sich mit der Furcht und der Kühnheit; ist somit in der Abwehrkraft. Die Geduld aber mäßigt die Trauer; ist somit in der Begehrkraft. Also ist die Geduld vielmehr ein Teil der Mäßigkeit. III. Das Ganze kann nicht bestehen ohne seine Teile. Wäre somit die Geduld ein Teil der Stärke, so könnte diese niemals bestehen ohne die Geduld; da doch mancher starke anstatt Übles zu tragen und demnach geduldig zu sein jenen angreift, der ihm Übles zufügt. Auf der anderen Seite stellt Cicero die Geduld als einen Teil der Stärke hin.
b) Ich antworte, die Geduld sei eine der Stärke untergeordnete, eine Nebentugend. Denn die Geduld erträgt mit Gleichmut Übles, was von außen kommt. Unter den Übeln aber, die von anderen zugefügt werden, sind jene am schwersten zu tragen, welche zu den Todesgefahren gehören. Diese nun erträgt die Stärke als die Haupttugend. Die Geduld aber als Nebentugend richtet sich auf geringere Übel, weshalb Prosper (Sent. 811.) sie „ein Vermögen der Stärke“ nennt.
c) I. Die Stärke erträgt, was am schwersten zu tragen ist: die Todesgefahren; die Geduld erträgt beliebige andere Übel. II. Die Stärke bethätigt sich nicht allein darin, daß der betreffende im Guten verharrt trotz der Furcht vor zukünftigen Gefahren, sondern auch daß er nicht ermüdet wegen der Trauer und des Schmerzes, welchen gegenwärtiges Übel verursacht; und von dieser Seite her hat die Stärke Verwandtschaft mit der Geduld. In erster Linie aber richtet sich die Stärke auf die Furcht, die da möchte, daß man fliehe; was die Stärke nicht thut. Dagegen beschäftigt sich die Geduld in erster Linie mit der Trauer. Denn geduldig heißt jemand nicht deshalb weil er nicht flieht; sondern deshalb weil er sich in lobenswerter Weise verhält im Ertragen dessen, was für den Augenblick schadet, daß er nämlich nicht infolgedessen in unmäßige Trauer fällt. Sonach ist in der That die Stärke in der Abwehrkraft und die Geduld in der Begehrkraft. Das hindert aber nicht, daß die Geduld ein Teil der Stärke sei; denn solche Verbindung hängt nicht vom Subjekte oder von dem Vermögen, von dem eine Tugend getragen wird, ab, sondern von dem inneren bestimmenden Wesenscharakter. Es wird demnach die Geduld nicht als Teil der Mäßigkeit betrachtet, obgleich beide in der Begehrkraft sind. Denn die Mäßigkeit richtet sich auf jene Trauer allein, welche dem Ergötzen des Tastsinnes entgegensteht, nämlich aus dem Entbehren von Nahrung oder geschlechtlichen Dingen entspringt; während die Geduld zumal sich mit jener Trauer beschäftigt, welche von außen her, d. h. von anderen zugefügt wird. Und ebenso soll die Mäßigkeit die erwähnte Trauer zügeln, wie auch das entgegengesetzte Ergötzen; während die Geduld dahin arbeiten soll, daß man wegen solcher Trauer, wie groß sie auch immer ist, nicht das Gut der Tugend preisgebe. III. Die Geduld kann nach einer Seite hin als integraler, den Akt der Stärke zusammensetzender Teil betrachtet werden. Und nach dieser Seite, nämlich insoweit jemand geduldig die Übel erträgt, welche Todesgefahr bergen, richtet sich der Einwurf. Es ist auch nicht gegen das Wesen der Geduld, gegen jenen, wann es notwendig ist, sich zu erheben, der da Übles anthut; wie Chrysostomus sagt zu Matth. 4. Vade Satan (hom. 5. op. imp.): „Gegenüber den Beleidigungen, die der eigenen Person angethan werden, geduldig sein, ist lobenswert; die Beleidigungen Gottes aber geduldig hinnehmen, ist allzu gottlos.“ Ebenso Augustin (ep. 138.): „Die Vorschriften der Geduld sind dem staatlichen Gemeinbesten nicht entgegengesetzt; um dessentwillen man gegen die Feinde kämpft.“ Insoweit aber nach der anderen Seite hin die Geduld sich auf beliebige andere Übel wie die Todesgefahr richtet, ist sie kein integraler Teil der Stärke, sondern eine Nebentugend derselben.
