Zweiter Artikel. Die Beharrlichkeit ist ein Teil der Stärke.
a) Das scheint nicht. Denn: I. „Die Beharrlichkeit hat zum Gegenstande die Trauer, die mit dem Tastsinn verbunden ist.“ (7 Ethic 7.) Das gehört aber zur Mäßigkeit. II. Jeder Teil einer moralischen Tugend beschäftigt sich mit jenen einzelnen Leidenschaften, welche die betreffende moralische Tugend zu regeln hat. Die Beharrlichkeit aber besagt keine Regelung von Leidenschaften; denn je heftiger die Leidenschaften sind, desto mehr wird jemand gelobt, wenn er gemäß der Vernunft beharrlich gewesen ist. Also ist die Beharrlichkeit nicht der Teil einer moralischen Tugend, sondern vielmehr ein Teil der Klugheit, welche die Vollendung der Vernunft ist. III. Nach Augustin (de sersev. 1.) kann die Beharrlichkeit niemand verlieren. Die anderen Tugenden aber kann der Mensch verlieren. Also steht die Beharrlichkeit den anderen Tugenden voran, anstatt der Teil einer Tugend zu sein. Sie ist vielmehr eine Haupttugend. Auf der anderen Seite führt sie Cicero als Teil der Stärke an.
b) Ich antworte, die Haupttugend richte sich immer auf das Beste und Schwierigste im ganzen Bereiche der betreffenden Tugend. Danach ist also die Stärke die Haupttugend rücksichtlich der Schwierigkeiten; denn sie festigt gegen das am meisten Schwere, gegen die Todesgefahr. Jede andere Tugend, die sich mit Schwierigkeiten, resp. mit dem Ertragen derselben, beschäftigt, ist mit dieser Tugend, der Stärke, verbunden wie eine untergeordnete, eine Nebentugend. Ertragen aber das Schwierige, was mit der langen Zeitdauer in einem guten Werke verknüpft ist, bildet das Lob der Beharrlichkeit; und dies ist nicht so schwer, wie Todesgefahren bestehen; — also ist die Beharrlichkeit mit der Stärke verbunden wie eine Nebentugend.
c) I. Die Verbindung einer Nebentugend mit einer Haupttugend richtet sich nicht nach dem Gegenstande, sondern vielmehr nach der die Seinsweise bestimmenden Form. Es mag also wohl rücksichtlich des Gegenstandes die Beharrlichkeit mehr übereinkommen mit der Mäßigkeit; in der Art und Weise ihrer Äußerung jedoch kommt sie mehr überein mit der Stärke, insoweit sie Festigkeit verleiht gegen die Schwierigkeit der langen Zeitdauer. II. Die Beharrlichkeit, von der Aristoteles spricht, besteht nur in einer gewissen Festigkeit der Vernunft und des Willens; sie regelt keine Leidenschaften. Die Beharrlichkeit aber als Tugend regelt gewisse Leidenschaften, wie z. B. die Furcht zu ermüden wegen der langen Zeitdauer. Deshalb ist diese Tugend gleich der Stärke in der Abwehrkraft. III. Augustin spricht da nicht von der Beharrlichkeit, insoweit sie ein Tugendzustand ist; sondern insoweit sie den bis zum Ende fortgesetzten Akt der Tugend bezeichnet, nach Matth. 24.: „Wer beharrt bis ans Ende, wird selig werden.“ Gegen das Wesen einer solchen Beharrlichkeit wäre es also, wenn sie verloren würde.
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