Erster Artikel. Die Beharrlichkeit ist eine Tugend.
a) Dem steht entgegen: I. „Enthaltsamkeit wiegt mehr wie die Beharrlichkeit;“ heißt es 7 Ethic. 7. Die Enthaltsamkeit aber ist keine Tugend. Also ist es auch nicht die Beharrlichkeit. II. Kraft der Tugend lebt man in der rechten Weise.“ (Aug. 2. de lib. arbitr. 19.) „Keiner aber hat die Beharrlichkeit, so lange er lebt, wenn er sie nicht bis zum Tode bewahrt.“ (Aug. de persev. 1.) Also ist die Beharrlichkeit keine Tugend. III. Unbeweglich am Tugendwerke festhalten ist jeder Tugend als solcher eigen. Darin aber besteht das Wesen der Beharrlichkeit, nach Cicero (l. c.): „Beharrlichkeit ist das feste, dauernde Verbleiben in dem, was auf die Vernunft gegründet ist.“ Also gehört die Beharrlichkeit zu jeder Tugend. Auf der anderen Seite sagt Andronicus: „Die Beharrlichkeit ist ein Zustand in dem, worin man verbleiben muß; oder in dem, was nicht festzuhalten ist; oder in dem, was man bisweilen thun und bisweilen lassen muß.“ Ein Zustand aber, der uns anleitet, etwas gut und dauernd zu thun und Anderes zu unterlassen, ist eine Tugend. Also ist die Beharrlichkeit eine Tugend.
b) Ich antworte, „die Tugend berücksichtige das Schwere und Gute.“ (2 Ethic. 3.) Wo also ein besonderer Charakter des Guten oder des Schwierigen sich geltend macht, da besteht eine eigene besondere Tugend. Das Werk der Tugend nun kann von zwei Seiten her den Charakter des Guten und des Schweren haben: 1. von dem inneren Wesen der Thätigkeit selbst her, welches gemäß dem maßgebenden Einflüsse des Gegenstandes erwogen wird; 2. von der Länge der Zeit her; denn dieser Umstand selber, lange Zeit einer schwierigen Thätigkeit obliegen, bietet eine ganz besondere Schwierigkeit. Also in etwas Gutem aushalten bis zur Vollendung gehört einer besonderen Tugend an. Wie also die Mäßigkeit eine besondere Tugend ist, weil sie etwas an sich Schwieriges, nämlich die Ergötzlichkeiten des Tastsinnes, regelt; — die Stärke, weil auch sie gegen etwas an sich Schwieriges, gegen die Todesgefahr festigt; — so ist die Beharrlichkeit eine Tugend, weil sie in diesen und anderen Tugendwerken eine andere Schwierigkeit, das lange Verharren, überwindet.
c) I. Aristoteles nimmt hier die Beharrlichkeit in der Weise, daß jemand verharrt in dem, wo es im höchsten Grade schwer ist, lange auszuhalten. Nun ist es nicht schwer, lange Zeit das Gute auszuhalten; wohl aber das Üble. Jene Übel aber, welche Todesgefahr in sich bergen, hält man für gewöhnlich nicht lange aus; denn ihrer Natur nach gehen sie schnell vorüber; mit Bezug auf sie also besteht kein besonderes Lob der Beharrlichkeit. Unter den anderen Übeln jedoch sind jene vorwiegend, welche den Ergötzlichkeiten des Tastsinnes entgegengesetzt sind; denn solche Übel betreffen das zum Leben Notwendige, wie den Mangel an genügender Nahrung u. dgl., was manchmal lange Zeit zu ertragen ist. Nun besteht keine Schwierigkeit, solche Übel zu ertragen, für jenen, der darüber nicht sehr traurig ist, sondern am entgegengesetzten Guten sich ergötzt; wie z. B. für den mäßigen, in welchem derartige Leidenschaften nicht heftig sind. Große Schwierigkeit aber erwächst daraus für denjenigen, der eine hervorragende Neigung zu solchen Ergötzlichkeiten hat; weil er nämlich nicht in vollendeter Weise jene Tugend besitzt, welche diese Leidenschaften regelt. Wenn also in dieser Weise die Beharrlichkeit genommen wird, so ist sie keine vollendete Tugend, sondern, etwas Unvollendetes im Bereiche der Tugend. Nimmt man aber die Beharrlichkeit, insoweit jemand in irgend welchem Guten, was schwierig ist, lange verharrt, so kann sie zukommen auch dem, welcher eine vollendete Tugend hat; und wenn auch einem solchen das Beharren minder schwer ist, so verharrt er doch in einem Gute, was mehr vollkommen ist. Sonach kann eine solche Beharrlichkeit Tugend sein; denn die Vollendung der Tugend wird weit mehr erwogen gemäß dem Charakte des Guten wie gemäß dem des Schwierigen. II. Mit dem nämlichen Namen wird manchmal sowohl die Tugend selbst benannt wie die Thätigkeit der Tugend, nach Augustin, der da sagt (tract. 79. in Joan.): „Glaube ist: Glauben das, was du nicht siehst.“ Es kann jedoch jemand ganz wohl den Zustand einer Tugend haben, der die Thätigkeit derselben nicht ausübt; wie ein armer den Zustand der Prachtliebe haben kann, wenn er auch dieselbe nicht äußert. Bisweilen aber hat einer den entsprechenden Zustand und beginnt, danach thätig zu sein, vollendet jedoch nicht; wie wenn jemand ein Haus anfängt zu bauen und es nicht vollendet. Danach also bezeichnet der Ausdruck „Beharrlichkeit“ manchmal den Zustand, kraft dessen jemand sich frei entschließt, zu beharren. Bisweilen bezeichnet er die Thätigkeit, kraft deren einer thatsächlich beharrt. Und bisweilen entschließt sich einer, der den Zustand der Beharrlichkeit hat, zwar frei, zu beharren und fängt an, dies in die That umzusetzen; aber er führt es nicht durch, weil er nicht bis ans Ende verharrt. Nun besteht ein doppeltes Ende oder ein doppelter Zweck; nämlich 1. mit Rücksicht auf ein Werk, 2. mit Rücksicht auf das ganze menschliche Leben. Es gehört also an und für sich zur Beharrlichkeit, daß jemand beharrt bis zum Ende des tugendhaften Werkes; wie der Soldat beharrt bis zum Ende des Kampfes und der prachtliebende bis zur Vollendung des beabsichtigten Werkes. Insofern aber es Tugenden giebt wie die theologischen, deren Thätigkeiten das ganze Leben hindurch dauern müssen, weil ihr Zweck oder Ende der Zweck des ganzen menschlichen Lebens ist, so wird mit Bezug auf derartige Tugenden die Thätigkeit der Beharrlichkeit nicht vollendet vor dem Ende des Lebens. Und danach nimmt Augustin die Beharrlichkeit für die vollendete Thätigkeit der Beharrlichkeit. III. Unverrückbar sein kommt der Tugend in doppelter Weise zu: 1. mit Rücksicht auf die Absicht, unverrückbar zu sein; und so ist das Verharren im Guten bis zum Ende zu einer speciellen Tugend gehörig, welche Beharrlichkeit heißt und welche dies eben, das Unverrückbarsein, zum speciellen Zweck hat; — 2. mit Rücksicht auf den Träger oder das Subjekt des Zustandes; und so ist das Unverrückbarsein eine Eigenheit jeglicher Tugend, insoweit jede Tugend ein „schwer beweglicher Zustand“ ist.
