Zweiter Artikel. Der Grad der Schwere in der Sünde der Gaumenlust.
a) Die Gaumenlust ist keine Todsünde. Denn: I. Sie steht zu keinem der zehn Gebote im Gegensatze. II. Sie steht weder zur Gottes- noch zur Nächstenliebe im Gegensatze. III. „So oft man in Speise und Trank etwas über die Notdurft hinaus nimmt, ist dies eine kleine Sünde;“ sagt Augustin (serm. de purgatorio) IV. Auf der anderen Seite schreibt Gregor (30. moral. 13.): „Was die Menschen unter der Herrschaft der Gaumenlust mit Kraft thun, das verlieren sie; und wird der Bauch nicht eingeschränkt, gehen alle Tugenden zusammen zu Grunde.“ Also ist die Gaumenlust eine Todsünde.
b) Ich antworte, die Ordnung, welche die Vernunft dem Begehren auflegt, kann nach zwei Seiten hin erwogen werden: 1. mit Rücksicht auf das Zweckdienliche, insoweit nämlich dies nicht in der Weise bemessen ist, daß es den Verhältnissen des Zweckes entspreche; — 2. mit Rücksicht auf den Zweck selber, insoweit nämlich die Begierde den Menschen vom Zwecke abwendet. Wendet also die Gaumenlust den Menschen vom letzten Endzwecke ab, so ist sie Todsünde. Dies aber geschieht, wenn man in der Gaumenlust seinen Zweck sieht, um dessentwillen man Gott verachtet, nämlich bereit ist, die Gebote Gottes zu übertreten, damit man nur die körperlichen Ergötzungen genieße. Wird jedoch nur das Zweckdienliche durch die Gaumenlust in etwa gestört, inwieweit man zu viel sich ergötzt an der Speise, ohne jedoch ein Gebot Gottes übertreten zu wollen, so ist da läßliche Sünde.
c) I. Führt die Gaumenlust vom letzten Endzwecke ab, so ist sie Todsünde; und danach wird sie zurückgeführt auf das dritte Gebot, die Ruhe in Gott wie im letzten Endzwecke. Nicht nämlich alle Sünden sind direkt den zehn Geboten entgegengesetzt, die ja eben vorzugsweise die Gerechtigkeit betreffen; sondern speciell jene, welche gegen die Gerechtigkeit sind. II. Wendet die Gaumenlust vom letzten Zwecke ab, so ist sie der Liebe Gottes entgegen. III. Augustin spricht von der Gaumenlust, insoweit dieselbe das Zweckdienliche nur in etwa stört. IV. Die Gaumenlust entfernt wohl die Tugenden; nicht so sehr jedoch thut sie selber dies, als die Laster die aus ihr folgen. Denn Gregor sagt (pastor. 3, 20.): „Wird dem Bauche nachgegeben, so werden die Tugenden durch die Wollust zerstört.“
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