Erster Artikel. Die Gaumenlust ist eine Sünde.
a) Dem steht entgegen: I. Matth. 15.: „Was in den Mund eintritt, verunreinigt nicht den Menschen.“ II. Gregor (30. moral. 14.): „Sowie beim Essen das Bedürfnis mit dem Ergötzen gemischt ist; — was nun die Notdurft verlangt und was dem Ergötzen dient, das weiß man nicht zu unterscheiden;“ und Augustin (10. conf. 31.): „Wer, o Herr, nimmt nicht hie und da Speise zu sich über die Grenzen der Notdurft hinaus?“ Was aber jemand nicht vermeiden kann, das ist keine Sünde. III. In einer jeden „Art“ von Sünde ist die erste Bewegung Sünde. Die erste Bewegung aber, um Speise zu nehmen, ist keine Sünde; sonst wären Hunger und Durst sündhaft. Also ist die Gaumenlust keine Sünde. Auf der anderen Seite schreibt Gregor (30. moral. 13.): „Zum Kampfe im geistigen Streite erhebt sich nicht, wer nicht zuerst den Feind, der in ihm selber aufgestellt ist, die Begierde der Gaumenlust nämlich, bezwingt.“ Also ist die Gaumenlust ein innerer Feind von uns und sonach ist sie Sünde.
b) Ich antworte, Gaumenlust besage nicht jede Begierde nach Speise und Trank, sondern die ungeregelte; also eine solche, die von der Richtschnur der Vernunft sich entfernt und somit von der moralischen Tugend. Demnach ist Gaumenlust Sünde.
c) I. Die Juden (und nachher die Manichäer) meinten, einige Speisen seien unrein auf Grund der ihnen eigenen Natur und Substanz, und nicht wegen etwas figürlich oder moralisch dadurch Vorgestelltem. Das weist der Herr zurück. Jede ungeregelte Begierde aber verunreinigt den Menschen. II. Wer im Essen das Maß überschreitet in der Meinung, so viel Speise sei ihm Bedürfnis, der sündigt nicht gegen die Gaumenlust; er ist nur gewissermaßen unerfahren. Wenn aber einer aus ungeregelter Begierde nach dem Ergötzen zu viel Speise nimmt, der sündigt durch Gaumenlust. III. Ein anderes Begehren ist das rein natürliche, was zu den Kräften der Pflanzenseele gehört, und dieses ist das erste; und ein anderes ist das sinnliche. Im ersteren ist keine Sünde; denn diese Kräfte sind nicht geeignet, der Vernunft zu gehorchen, weshalb neben der Kraft zu begehren da noch ebensogut die Kraft besteht, zu behalten, zu verdauen und zu entfernen. Das zweite Begehren ist, falls es ungeregelterweise sich geltend macht, Sünde; von der ersten Bewegung der Gaumenlust an.
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