Dritter Artikel. Die Gaumenlust ist nicht die größte der Sünden.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Die Größe der Sünde kann aus der Größe der Strafe erwogen werden. Von Adam aber schreibt Chrysostomus (13. in Matth.): „Die Unmäßigkeit des Bauches hat Adam aus dem Paradiese getrieben; die Gaumenlust des Bauches hat die Sündflut zur Zeit Noes gemacht und die Strafe auf die Sodomiten herabgezogen.“ Ebenso Ezechiel 16.: „Das war die Bosheit deiner Schwester Sodom, das Sattessen an Brot…“ II. Die Ursache steht höher wie die Wirkungen. Die schwersten Sünden aber kommen von der Gaumenlust, nach der Glosse zu Ps. 135. (Qui percussit Aegyptum.): „Die Wollust, die Begierlichkeit, den Hochmut erzeugt an erster Stelle der Bauch.“ III. Nach Gott soll der Mensch sich selbst am meisten lieben. Durch die Gaumenlust aber schadet sich der Mensch im höchsten Grade, nach Ekkli. 37.: „Wegen Fraß und Schlemmerei sind viele zu Grunde gegangen.“ Auf der anderen Seite sagt Gregor, die fleischlichen Sünden, zu denen die Gaumenlust zählt, hätten geringere Schuld. (33. moral. 11.)
b) Ich antworte, die Schwere einer Sünde hänge ab: 1. vom Gegenstande, mit Rücksicht auf welchen man sündigt; und danach sind die Sünden, welche sich direkt gegen die göttlichen Dinge richten, die größten; — 2. von der Beschaffenheit des sündigenden; und danach wird die Gaumenlust zu einer leichteren Sünde, sowohl weil einmal es notwendig ist, Speise zu sich zu nehmen, als auch weil es schwer ist zu unterscheiden, was der Notdurft und was dem Vergnügen dient; — 3. von den daraus entstehenden Wirkungen; und danach hat die Gaumenlust eine gewisse Schwere, weil schwere Sünden aus ihr folgen.
c) I. Die erwähnten Strafen beziehen sich vielmehr auf die aus der Gaumenlust folgenden oder die Gaumenlust selber verursachenden Sünden. Der erste Mensch wurde aus dem Paradiese getrieben wegen des Hochmutes, welcher die Ursache des Aktes der Gaumenlust war. Die Sündflut und die Strafe der Sodomiten wurden verhängt wegen der Wollust, welche der Gaumenlust entsprossen. II. Die Gaumenlust ist nicht an sich, ihrem Wesen nach, Ursache der aus ihr folgenden Sünden; sondern bildet nur die Gelegenheit oder den Anlaß dafür. III. Der gaumenlustige beabsichtigt nicht, seinem Körper Schaden zuzufügen. Folgt ein solcher, so ist dies nebenbei infolge außenliegender Gründe. Jedoch wird die Sünde immerhin dadurch erschwert, wenn jemand einen körperlichen Nachteil erduldet wegen der ungeregelten Begierde nach Ergötzen in der Speise.
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