Dritter Artikel. Die einfache Unzucht ist nicht die schwerste Sünde.
a) Dem scheint aber so. Denn: I. Je größer die Begierde, desto größer die Sünde. „Die Glut der Begierde aber in der Unzucht ist eine im höchsten Grade große,“ sagt die Glosse zu 1. Kor. 7. (melius est nubere). II. Wer gegen etwas mit ihm in höherem Grade Vereinigtes sündigt, der sündigt schwerer; wie jener, der den Vater schlägt, schwerer sündigt als jener, der einen fremden schlägt. Der unzüchtige aber sündigt „in (d. h. gegen) seinen Körper“ (1. Kor. 16.), der mit ihm im höchsten Grade verbunden ist. Also ist die Unzucht die schwerste Sünde. III. Je höher das Gute steht, gegen was man sich versündigt; desto schwerer ist die Sünde. Die Unzucht aber versündigt sich am Guten des ganzen Menschengeschlechtes und ebenso an Christo selber, nach I. Kor. 6.: „Die Glieder Christi nimmst du und machst sie zu Gliedern einer feilen Dirne?“ Also ist sie die schwerste Sünde. Auf der anderen Seite „sind die fleischlichen Sünden weniger schuldvoll wie die geistigen;“ nach Gregor. (33. moral. 11.)
b) Ich antworte, die Schwere einer Sünde könne an sich erwogen werden und mit Rücksicht auf einen äußerlichen unbeabsichtigten Umstand. An sich betrachtet nun, d. h. ihrem Wesen nach ist eine Sünde um so größer, je höher das Gute steht, dem sie entgegengesetzt ist. Die Unzucht nun ist gegen das Wohl des zu erzeugenden Kindes. Und somit ist sie ihrem Wesen nach eine schwerere Sünde wie solche Sünden, die den äußeren Gütern Nachteil bringen, wie z. B. der Diebstahl; sie ist aber eine leichtere Sünde wie jene, die gegen Gott sich unmittelbar richten; oder wie jene, die gegen das Leben eines bereits geborenen Menschen angehen, z.B. der Mord.
c) I. Die Begierde im Willen oder die Bosheit beschwert die Sünde. Die Begierde im sinnlichen Teile aber mindert die Schwere der Sünde; denn je stärker die Leidenschaft antreibt, desto leichter ist die Sünde. Und in dieser letzten Weise ist die Begierde in der Wollust im höchsten Grade vorhanden. Deshalb sagt Augustin (serm. 250. de Temp.): „Unter allen Kämpfen der Christen ist der härteste der um der Keuschheit willen; täglich ist da der Kampf und selten der Sieg.“ Und Isidor (2. de summo Bono 39.): „Durch die Wollust wird das Menschengeschlecht dem Teufel mehr Unterthan wie durch eine andere Sünde;“ denn schwerer nämlich ist es, solcher Begierde zu widerstehen. II. Nicht allein weil die Unzucht im Fleische sich vollendet, was ja auch bei der Gaumenlust geschieht, sondern auch deshalb weil der unzüchtige seinen Körper mit einem anderen ungebührenderweise vermischt, sündigt er gegen das Wohl des eigenen Körpers. Darum ist aber die Unzucht noch nicht die schwerste Sünde, weil ja die Vernunft im Menschen den Körper überragt; und ist somit eine Sünde in höherem Grade der Vernunft widerstreitend, so ist sie schwerer. III. Die Sünde der Unzucht ist gegen das Wohl der menschlichen Gattung, insoweit sie im einzelnen Falle die Erzeugung eines einzelnen Menschen, insofern derselbe in gebührenden Verhältnissen geboren werden sollte, hindert. Mehr aber nimmt an der menschlichen Gattung teil, der bereits thatsächlich Mensch ist, als jener, der nur erst Mensch werden kann; und somit ist der Mord eine schwerere Sünde wie die Unzucht und die Wollust im allgemeinen. Gott als das höchste Gut ebenso ist größer als das der menschlichen Gattung entsprechende Gut. Also sind auch die Sünden gegen Gott größer wie die Unzucht. Diese ist durchaus nicht direkt gegen Gott gerichtet, als ob der unzüchtige die Beleidigung Gottes als solche wollte, sondern nur mittelbar; wie ja auch alle anderen Todsünden mittelbar Gott beleidigen, weil sie ein von Gott gegebenes Gut verachten. Wie aber die Glieder unseres Körpers Glieder Christi sind, so auch ist unser Geist eins mit Christo, nach 1. Kor. 6.: „Wer Gott anhängt, ist mit ihm ein Geist.“ Deshalb sind die geistigen Sünden mehr gegen Christum wie die fleischlichen und somit mehr wie die Unzucht.
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