Vierter Artikel. Der Grad der Schwere in der Sünde, die in Küssen, Berührungen u. s. w. besteht.
a) Darin ist keine Todsünde. Denn: I. Ephes. 5. heißt es: „Unzucht und alle Unreinheit oder Geiz soll unter euch nicht einmal genannt werden, wie dies Heiligen geziemt, oder Unanständigkeit (womit nach der Glosse Küsse und Umarmungen gemeint sind) oder thörichte Rede (schmeichelhafte Wortc) oder läppische Schwatzhaftigkeit… Denn dies sollt ihr wissen und verstehen, daß weder ein unzüchtiger noch ein unreiner noch ein geiziger… sein Erbe haben wird im Reiche Christi und Gottes;“ in diesem letzten Teile der Stelle erwähnt aber der Apostel nicht mehr die Unanständigkeit, thörichte, läppische Rede etc. Also sind diese letzteren Dinge keine Todsünden. II. Die Unzucht ist Todsünde wegen des Nachteils, der dem zu erzeugenden Kinde erwächst. Küsse u. dgl. aber tragen dazu nichts bei. III. Jedenfalls geschehen Küsse, Umarmungen etc. manchmal ohne Sünde; also sind sie an sich keine Sünde. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Matth. 5.): „Wer eine Frau ansieht, um sie zu begehren, der hat Unzucht getrieben in seinem Herzen.“ Um so viel mehr also sind Küsse, die aus der Begierde entspringen, Umarmungen und Ähnliches Todsünde. Zudem sagt Cyprian (de virginit. lib. 1. cp. 11.): „Jedenfalls das geschlechtliche Zusammenleben selber, die Umarmung selber, die beiderseitige Unterhaltung, das Küssen, das schändliche und häßliche Zusammenliegen zweier beim Schlafen; — wie viel an Verbrechen und Schimpf trägt dies nicht in sich!“
b) Ich antworte, dem inneren Wesen nach seien allerdings Küsse u. dgl. keine Todsünde; denn sie können geschehen infolge der heimischen Gewohnheit oder wegen Verwandtschaft und sonst aus rechtmäßigen Gründen. Es kann jedoch etwas auch Todsünde sein auf Grund der Ursache; wie wenn jemand ein Almosen giebt, damit er einen zur Häresie verleite. Nun ist aber (I., II. Kap. 74, Art. 7 und 8) die innere Zustimmung zum Ergötzen an einer schweren Sünde bereits schwere Sünde, und nicht bloß die Zustimmung zur sündlichen Thätigkeit selbst. Da also die Unzucht und um so mehr die anderen Arten Wollust Todsünde sind, so ist auch die Zustimmung zum Ergötzen an solchen Sünden Todsünde und nicht bloß die Zustimmung zum Akte selber. Geschehen also Küsse u. dgl. auf Grund solchen Ergötzens, so sind sie Todsünden.
c) I. Die drei letzten Dinge erwähnt der Apostel nicht, weil sie nur Sünden sind kraft ihrer Beziehung zu den ersten drei. II. Die Küsse und dergleichen Berührungen hindern zwar an sich nicht das Wohl der Nachkommenschaft; aber von der nämlichen Begierde, von welcher dieses Hindernis herrührt, gehen sie ebenfalls aus als von ihrer Wurzel; und daraus leitet sich ihr sündlicher Charakter ab. III. Ihrem inneren Wesen nach sind solche Dinge nicht sündhaft; aber in ihrer Ursache.
