Zweiter Artikel. Die einfache Unzucht ist an sich Todsünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Act. 15. heißt es: „Ihr sollt euch enthalten des den Götzen Geopferten und des Blutes und des Erstickten und der Unzucht.“ Der Gebrauch der erstgenannten Dinge aber ist keine Todsünde von sich aus, nach 1. Tim. 4.: „Nichts ist zu verwerfen, was mit Danksagung genossen wird.“ Also ist es auch nicht die Unzucht, welche mit diesem Anderen offenbar auf die nämliche Linie gestellt wird. II. Oseas 1, 2. wird vorgeschrieben: „Gehe und nimm dir eine Frau, um mit derselben Unzucht zu treiben, und. erzeuge Kinder der Unzucht.“ Keine Todsünde aber wird von Gott geboten. III. Weder Abraham wird in der Schrift getadelt, daß er zu seiner Magd, der Hagar, eintrat; noch Jakob, der Ähnliches that (Gen. 30.); und ebenso nicht Judas, der mit einer feilen Dirne sich aufhielt, wenigstens nach seiner Meinung. (Gen. 38.) Also ist da keine Todsünde. IV. Die einfache Unzucht steht nicht im Gegensatze zur Liebe Gottes, gegen den sie nicht direkt sich richtet; und auch nicht zur Liebe des Nächsten, dem durch dieselbe kein Unrecht geschieht. Also ist sie keine Todsünde. V. Jede Todsünde führt zur Hölle; nicht aber die einfache Unzucht. Denn zu 1. Tim. 4. (Pietas ad omnia) bemerkt Ambrosius: „Der Hauptinhalt der christlichen Lehre ist Barmherzigkeit und Hingebung; wer diesen Tugenden folgt, der wird, falls er den Lockungen des Fleisches unterliegt, zweifellos bestraft werden, aber nicht zu Grunde gehen.“ VI. „Was die Speise für das Wohl des Körpers bedeutet, das ist die geschlechtliche Thätigkeit für das Wohl des Menschengeschlechtes;“ sagt Augustin (de bono conjug. 16.). Nicht aber jegliches ungeregelte Nehmen von Speise ist Todsünde; also auch nicht jegliches ungeregelte geschlechtliche Zusammenleben und somit nicht die einfache Unzucht, welche als die geringste unter den aufgezählten Gattungen der Wollust dasteht. Auf der anderen Seite sagt Tobias 4.: „Nimm dich in acht vor aller Unzucht, und, ausgenommen das Leben mit deiner Gattin, thue nichts Verbrecherisches mit weiblichen Personen.“ „Verbrecherisch“ aber bedeutet Todsünde. Zudem schließt die Unzucht vom Himmelreiche aus, nach Gal. 5.: „Wer diese Dinge (die Werke des Fleisches) thut, wird das Reich Gottes nicht erlangen.“ Also ist die Unzucht Todsünde. Ferner wird in Decret. 22. Qq. 1. cap. Praedicandum gesagt: „Sie sollen wissen, einem derartigen solle für den Meineid eine ebenso große Buße aufgelegt werden wie für den Ehebruch oder für die Unzucht oder für einen freiwillig begangenen Mord oder für ähnliche verbrecherische Thaten.“ Also ist die Unzucht eine verbrecherische oder Todsünde.
b) Ich antworte, ohne allen Zweifel sei die einfache Unzucht Todsünde, trotz des Ausdruckes der Glosse zu Deut. 23. (Non erit meretrix): „Er verbietet, zu einer feilen Dirne einzutreten, deren Schande eine läßliche ist;“ denn da muß statt venialis gesetzt werden venalis käuflich, worin der Wesenscharakter einer solchen Person besieht. Todsünde nämlich ist jede Sünde, die man direkt gegen das Leben eines Menschen begeht. Die einfache Unzucht aber schließt eine Unordnung in sich ein, welche zum Nachteile des Lebens desjenigen gereicht, der aus solchem Zusammenleben geboren wird. Denn dies sehen wir bei allen Tieren, bei welchen zur Erziehung oder angemessenen Entwicklung die Sorge des männlichen und weiblichen Teiles erfordert wird, daß in ihnen kein vermischtes Zusammenleben stattfindet, sondern daß das männliche Tier zu einem ganz bestimmten weiblichen, zu einem einzigen oder zu mehreren geschlechtliche Beziehung hat; wie dies von allen Vögeln bekannt ist. Anders ist es bei jenen Tieren, wo der weibliche Teil allein genügt, um das Junge zu entwickeln; bei diesen ist unbestimmtes gemischtes Zusammenleben, wie dies von den Hunden und ähnlichen bekannt ist. Offenbar aber wird zur Erziehung des Menschen erfordert nicht nur die Sorge der Mutter, von welcher das Kind ernährt wird; sondern auch die Sorge des Vaters, welcher es unterrichten, verteidigen und in seinen inneren und äußeren Gütern ihm förderlich sein muß. Deshalb ist es gegen die Natur des Menschen, daß das geschlechtliche Zusammenleben ein unbestimmtes sei, bald zwischen diesen bald zwischen jenen. Vielmehr muß der Mann mit einer bestimmten Frau verbunden sein, mit welcher er zusammenbleiben muß; nicht kurze Zeit, sondern durch lange Zeit (es wird hier bloß die Natur, nicht das Sakrament berücksichtigt) oder auch durch das ganze Leben. Aus diesem Grunde wohnt auch dem Manne im Bereiche des menschlichen Geschlechtes die Sorge inne, daß das betreffende Kind sein eigenes sei; und es würde die Gewißheit davon, daß er sein eigenes Kind erzieht, wegfallen, wenn das geschlechtliche Zusammenleben ein gemischtes wäre. Diese Verbindung nun mit einer bestimmten Frau wird „Ehe“ genannt; und deshalb gehört die Ehe dem Naturrechte an. Weil aber das geschlechtliche Zusammenleben das Gemeinbeste des Menschengeschlechtes zum Zwecke hat, nämlich dessen Bewahrung oder Fortpflanzung; das gemeinsame Gute aber unter die näheren Bestimmungen des positiven Gesetzes fällt, so folgt, daß die Verbindung von Mann und Frau, welche „Ehe“ genannt wird, durch Gesetze näher bestimmt wird. Wie dies bei uns nun näher bestimmt ist, wird im dritten Teile dieses Werkes erörtert werden, bei Gelegenheit der Behandlung des Sakramentes der Ehe. Da also die einfache Unzucht als gemischtes Zusammenleben gegen das Wohl des zu erziehenden Kindes ist, deshalb ist sie Todsünde. Dem steht nicht entgegen, daß bisweilen ein solch unzüchtiger für die Erziehung des betreffenden Kindes hinreichend Sorge tragen kann. Denn was gesetzlich bestimmt wird, das wird beurteilt nach dem, was gemeinhin geschieht und nicht nach dem, was in einem einzelnen Falle zutreffen kann.
c) I. Nicht weil die Unzucht den übrigen da genannten Dingen gleichartig wäre in der Schuld, wird sie daneben gesetzt; sondern weil aus allem da Erwähnten in gleicher Weise Streit entstehen konnte unter den aus den Juden und den Heiden Bekehrten. Denn wegen der natürlichen Verderbtheit der Vernunft ward bei den Heiden die einfache Unzucht nicht für sündhaft erachtet; bei den Juden aber wohl wegen des Gesetzes. Das andere da Erwähnte wird von den Aposteln angeführt, weil die Juden es auf Grund der Gesetzesvorschriften verabscheuten; so daß die Apostel es verboten, nicht als etwas in sich Unerlaubtes, sondern nur weil die Juden es verabscheuten. (I., II. Kap. 103, Art. 4 ad III.) II. Die Unzucht ist Sünde, weil sie gegen die rechte, gesunde Vernunft ist. Letztere ist aber eine rechte, insofern sie nach der Richtschnur des göttlichen Willens geregelt wird als der ersten und höchsten Regel. Was also der Mensch gemäß dem göttlichen Willen thut, das ist immer gemäß der rechten Vernunft; wenn es auch manchmal gegen die gewöhnliche Ordnung der Vernunft ist. So ist auch nicht schlechthin gegen die Natur das, was gegen den gewöhnlichen Lauf der Natur kraft eines Wunders geschieht. Deshalb sündigte Abraham nicht, als er sein unschuldiges Kind töten wollte; denn er gehorchte damit Gott; — und ebenso sündigte Oseas nicht, als er auf das Gebot Gottes hin Unzüchtiges that. Ein solches Zusammenleben ist auch eigentlich keine Unzucht, obgleich es diesen Namen erhält mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Gebrauch. Deshalb sagt Augustin (3. Conf. cap. 8.): „Wenn Gott etwas gebietet gegen irgend welche beliebige Sitte oder Abmachung, mag dies auch niemals so geschehen sein, dann muß man es thun… Wie nämlich im Bereiche des rein Menschlichen das Gebot des höheren Vorgesetzten befolgt werden muß mit Mißachtung des Gebotes niederer Vorgesetzten; so muß das Gebot Gottes von allen befolgt werden.“ III. Das Zusammenleben Abrahams und Jakobs mit den Mägden war keine Unzucht, wie später auseinandergesetzt werden wird. Judas braucht man nicht zu entschuldigen; denn er war auch die Ursache davon, daß man Joseph verkaufte. IV. Die einfache Unzucht widerstreitet der Nächstenliebe mit Rücksicht auf das zu erzeugende Kind (wie oben). V. Durch Liebeswerke bereitet sich einer dazu vor, Gnade zu erlangen; kraft dieser bereut er dann die begangenen Fleischessünden und geht so nicht ewig zu Grunde. Verharrt er in den Fleischessünden, so geht er trotz der Liebeswerke verloren. VI. Aus einem einzigen Male des geschlechtlichen Zusammenlebens kann ein Mensch erzeugt werden; und demgemäß ist die Unordnung im Zusammenleben, welche dem Wohle des zu erzeugenden Kindes hinderlich erscheint, der „Art“ selber des Aktes nach eine Todsünde; und nicht nur auf Grund der Unordnung in der Begierde. Infolge eines einmaligen Essens aber wird nicht das Wohl des ganzen Lebens eines Menschen gehindert; und deshalb ist der Akt der Gaumenlust seiner „Art“ nach keine Todsünde. Er wäre es aber in dem Falle, daß jemand mit Wissen und Willen solche Speise genösse, welche alle Verhältnisse seines Lebens, seine ganze Lage nämlich zum Schlechten verkehren würde, wie dies bei Adam geschah. Und dabei ist zudem nicht zuzugeben, daß im Bereiche der Wollust die einfache Unzucht die geringste Sünde sei; eine mindere Sünde ist das geschlechtliche Zusammenleben mit der Gattin, sofern es nämlich in der Begierde seinen treibenden Grund hat.
