Fünfter Artikel. Über den sündhaften Charakter der nächtlichen Befleckung.
a) Solche nächtliche Befleckung ist Sünde. Denn: I. Der schlafende kann als solcher bei Gott Verdienst erwerben, wie aus dem Beispiele Salomos hervorgeht, der im Schlafe die Gabe der Weisheit von Gott erhalten hat. (3. Kön. 3.) Also kann man auch im Schlafe sündigen. II. Im Schlafe hat man nicht selten den Gebrauch der Vernunft; denn man zieht da vernünftige Schlüsse und wählt das Eine vor dem Anderen. Also kann man auch im Schlafe sündigen. III. Vergeblich wird jemand getadelt oder belehrt, der weder gemäß der Vernunft noch wider dieselbe handeln kann. Im Schlafe aber wird der Mensch von seiten Gottes belehrt oder getadelt, nach Job. 33.: „Während des Schlafes, wenn die Ruhe sich senkt auf die Augen des Menschen, da öffnet Er (Gott) die Ohren der Menschen und belehrt sie mit heiliger Zucht.“ Also kann man im Schlafe vernünftig handeln und somit ist die nächtliche Befleckung Sünde. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (12. sup. Gen. ad litt. 15.): „Wenn das Phantasiebild, welches infolge des Denkens im schlafenden sich bildet, im Traumgesichte des letzteren in der Weise ausgedrückt ist, daß zwischen diesem Phantasiebilde und der wahren geschlechtlichen Verbindung der Körper nicht unterschieden wird; so tritt sogleich das Fleisch in Thätigkeit und es folgt das, was dieser Thätigkeit zu folgen pflegt. Indessen geschieht dies ebenso ohne Sünde, wie ohne Sünde von den wachenden darüber gesprochen wird; was doch, damit es gesagt würde, ohne Zweifel vorher gedacht ward.“
b) Ich antworte, die nächtliche Befleckung hat an sich, in ihrem inneren Wesen betrachtet, nichts Sündhaftes an sich; da alle Sünde vom Urteile der Vernunft abhängt. Denn die erste Bewegung in der Sinnlichkeit trägt nur insoweit den Charakter der Sünde als sie durch das Urteil der Vernunft gezügelt werden kann. Im Schlafen aber ist das Urteil des Menschen nicht frei. Der schlafende nämlich richtet sich auf Ähnlichkeiten oder Phantasiebilder von den Dingen wie auf die Dinge selber. (Vgl. 1. Kap. Art. 8.) Was also der schlafende thut, wird ihm ebensowenig zugerechnet wie dem rasenden oder wahnwitzigen. Jedoch kann die nächtliche Befleckung auch beurteilt werden nach ihrer Ursache. Und diese ist eine dreifache: 1. eine körperliche. Denn wenn die Samenfeuchtigkeit im Übermaße sich im Körper findet oder wenn, sei es durch allzu große Erwärmung des Körpers sei es durch einen anderen bewegenden Einfluß, der Same sich aufgelöst hat; so träumt der schlafende das, was zur Entfernung dieses Überflusses oder dieser Auflösung dient. Ähnliches geschieht ja, wenn die Natur durch etwas anderes Überflüssige belästigt wird, so daß dann nicht selten in der Einbildungskraft Bilder geformt werden, welche auf die Ausweisung von solch Überflüssigem sich beziehen. Ist also die Ursache solchen Überflusses in der Samenfeuchtigkeit eine schuldvolle (wenn man z. B. zu viel gegessen oder getrunken hat), dann ist die nächtliche Befleckung sündhaft gemäß der Tragweite ihrer Ursache. Bildet aber keinerlei Schuld den Grund für den Überfluß oder die Auflösung dieser Feuchtigkeit, so ist die nächtliche Befleckung weder an sich noch in ihrer Ursache sündhaft. 2. Die zweite Ursache nächtlicher Besteckung kann sein eine rein innere, d. h. in den inneren Sinnen bestehende; wenn nämlich jemand infolge der vorhergehenden Gedanken im Schlafe befleckt wird. Solches Denken ist nun entweder ein rein beschauliches, spekulatives; wenn z. B. jemand wegen einer bevorstehenden Disputation über die Fleischessünden nachgedacht hat; — oder es ist ein mit gewisser Begierde oder auch mit dem Schrecken vor der Unkeuschheit, also mit irgend einer Neigung verbundenes. In zahlreicheren Fällen nun tritt eine nächtliche Befleckung ein, wenn der Gedanke an fleischliche Sünden mit einer gewissen Begierde danach verbunden war, weil von da noch eine etwelche Hinneigung in der Seele bleibt, so daß der schlafende in seiner Einbildungskraft leichter dazu übergeht, Thätigkeiten oder Berührungen zuzustimmen, woraus die Befleckung folgt. Deshalb bemerkt Aristoteles (1 Ethic. ult.): „Da nach und nach gewisse Bewegungen vom Zustande des Wachens her mit hinübergehen in den des Schlafens, so sind besser die Phantasiebilder derjenigen, welche die Studien und Betrachtungen lieben wie die anderer.“ Und Augustin (I. c. c. 15.): „Auf Grund guter Neigungen leuchten die Verdienste einer guten Seele auch im Schlafe.“ Und so kann die nächtliche Befleckung schuldvoll sein auf Grund ihrer Ursache. Ist aber nur reines, spekulatives Denken vorausgegangen an fleischliche Dinge oder war es gar mit Abscheu und Schrecken vor solchen Dingen verbunden, so ist eine etwaige nächtliche Befleckung, die folgt, nicht sündhaft weder an sich noch in der Ursache. 3. Es giebt eine rein von außen her wirkende Ursache. Das ist die Thätigkeit der bösen Geister, welche im Schlafen die Phantasiebilder zu solcher Wirkung hin in Bewegung setzt. Dies kann manchmal mit einer Schuld zusammenhängen, insoweit der betreffende sich nachlässigerweise gegen die Täuschungen des Teufels vorbereitet hat; und deshalb singt die Kirche am Abende: „Und unsern Feind zu Scharen treib', Daß nicht befleckt werd' unser Leib.“ Manchmal aber ist es ohne irgend welche Schuld des Menschen; wie in den collationes Patrum (collat. 22. c. 6.) von einem gelesen wird, der vor Fasttagen immer solch nächtliche Befleckungen erlitt, damit ihn der Teufel hindere, die heilige Kommunion zu empfangen. Niemals also ist an sich die nächtliche Befleckung Sünde; wohl aber öfter eine Folge vorhergehender Sünden.
c) I. Daß Salomo im Schlafe die Weisheit erhielt, war ein Anzeichen vorhergehenden Verlangens; und deshalb gefiel Gott die Bitte. (Aug. 12. sup. Gen. ad litt. 25.) II. Je nachdem die niederen Kräfte mehr oder minder gelähmt sind wegen der verwirrenden Dünste, die auf und ab steigen oder wegen der Unreinheit dieser Dünste, ist der Gebrauch der Vernunft mehr oder minder gestört beim Schlafen. Niemals aber ist das Urteil beim Schlafen völlig frei. (I. Kap. 84, Art. 8.) Und so wird nicht als Schuld angerechnet, was man da thut. III. Die Auffassungskraft der Vernunft wird im Schlafe nicht in dem Grade gebunden wie die Urteilskraft. Denn das Urteil findet seine Vollendung darin, daß es sich zu den sinnlich wahrnehmbaren Dingen wendet, den ersten Principien menschlicher Kenntnis. Deshalb kann der Mensch im Schlafe etwas Neues auffassen, sei es auf Grund von dem, was aus den vorhergehenden Gedanken (Phantasiebildern) zurückgeblieben ist, sei es auf Grund von Offenbarung seitens Gottes, sei es infolge des Einflusses eines guten oder bösen Engels.
