Dritter Artikel. Der Stolz hat seinen Sitz in der Abwehrkraft.
a) Dagegen ist Folgendes: I. Gregor (23. moral. 10.) sagt: „Ein Hindernis der Wahrheit ist die Aufgeblasenheit des Geistes; welche die Erkenntnis verdunkelt.“ Die Erkenntnis aber gehört zum vernünftigen Teile. II. Gregor schreibt (24. moral. 6.): „Die stolzen betrachten nicht das Leben jener, denen sie sich in Demut hintenansetzen; sondern derjenigen, denen sie sich hochmütig vorziehen können.“ Also geht der Stolz aus ungeregelter Erwägung hervor; und hat seinen Sitz somit in der Vernunft. III. Der Stolz sucht den Vorrang auch in rein geistigen Dingen; und er selber besteht seinem Wesen nach in der Verachtung Gottes, nach Ekkli. 10.: „Der Anfang des Stolzes ist: von Gott abfallen.“ Die Abwehrkraft aber erstreckt sich nicht auf Gott und Geistiges. IV. „Der Stolz ist die Liebe zum eigenen Vorrange.“ (Prosper. sent. 292.) Die Liebe aber ist in der Begehrkraft. Also ist der Stolz nicht in der Abwehrkraft. Auf der anderen Seite stellt Gregor (2. moral. 26.) zum Stolze in Gegensatz die Gabe der Furcht. Die Furcht aber gehört der Abwehrkraft an.
b) Ich antworte, der eigens entsprechende Gegenstand müsse zur Bestimmung des Subjektes oder des Trägers einer Tugend oder eines Lasters anleiten. Denn eine Thätigkeit oder ein Zustand kann keinen anderen Gegenstand haben wie jenen, der dem Vermögen entspricht, in welchem die Thätigkeit oder der Zustand sich findet oder den Sitz hat. Nun ist der eigentliche Gegenstand des Stolzes das schwer Erreichbare. Also muß der Stolz irgendwie zur Abwehrkraft gehören. Es kann die Abwehrkraft aber genommen werden: 1. im eigentlichen Sinne, und so ist sie ein Teil des sinnlichen Begehrens; — 2. im weiteren Sinne, so daß sie auch auf das vernünftige Begehren sich erstreckt, dem man ja ebenfalls manchmal Zorn zuschreibt, wie z. B. Gott; nicht als eine Leidenschaft, sondern als vernünftiges Urteil, welches Strafe verhängt. Und in diesem letzteren Sinne genommen ist natürlich die Abwehrkraft nicht als ein verschiedenes Vermögen getrennt von der Begehrkraft. (I. Kap. 59, Art. 4; Kap. 82, Art. 5 ad 1. et II.) Wäre sonach das schwer Erreichbare als Gegenstand des Stolzes nur im Bereiche des Sinnlichen, so würde der Stolz in der sinnlichen Abwehrkraft sein, dem eigentlichen Sinne nach. Weil aber dieser Gegenstand sowohl im Sinnlichen wie im Geistigen sich findet, so hat der Stolz seinen Sitz in der Abwehrkraft dem weiteren Sinne gemäß, soweit auch das vernünftige Begehren darin eingeschlossen ist.
c) I. Die Kenntnis der Wahrheit ist 1. rein spekulativ, d. h. betrachtend; und diese hindert der Stolz indirekt, indem er die Ursache entzieht. Denn der stolze unterwirft weder Gott seine Vernunft, daß er von Gott die Kenntnis der Wahrheit erhalte, nach Matth. 11.: „Du hast dies verborgen vor den weisen und klugen,“ d. h. den stolzen, „und geoffenbart den kleinen,“ d. h. den demütigen; noch will er von den Menschen lernen, nach Ekkli. 6.: „Wenn du dein Ohr hinneigst,“ d. h. demütig hörst, „wirst du Weisheit kennen lernen.“ Die Kenntnis der Wahrheit ist 2. eine wirksam thätige; und diese Kenntnis hindert der Stolz direkt. Denn die stolzen ergötzen sich an der falschen Vorstellung ihres eigenen Vorranges und haben Ekel an der Wahrheit; wie Gregor sagt (23. moral. 10.): „Mögen auch die stolzen manche Geheimnisse innerlich wahrnehmen; deren Lieblichkeit schmecken sie nicht. Sie mögen wissen, was diese Wahrheiten in sich enthalten; welche Süße sie verbreiten, das erfahren sie nicht.“ Deshalb heißt es Prov. 11.: „Wo Demut ist, da ist Weisheit.“ II. Die Demut giebt acht auf die Regel der gesunden Vernunft, wonach jemand die richtige Wertschätzung seiner selbst hat. Diese Regel aber beachtet der Stolz nicht, sondern hält die eigene Person für größer als sie wirklich ist. Dies aber geschieht auf Grund des ungeregelten Begehrens nach eigenem Vorrange; weil nämlich was jemand heftig verlangt er leicht glaubt, deshalb geht das Begehren höher hinauf als es sich gebührt. Was also dazu beiträgt, daß jemand sich für besser und für mehr hält wie er ist, das führt den Menschen zum Stolze. Dazu gehört nun die Betrachtung der Mängel in anderen, wie Gregor (l. c.) sagt: „Heilige Männer betrachten die Tugenden in den anderen und ziehen sich gegenseitig vor.“ Eine Ursache also für den Stolz findet sich in der Vernunft; nicht ist diese der Sitz des Stolzes. III. Die Abwehrkraft als Sitz des Stolzes erstreckt sich auch auf das vernünftige Begehren. (S. oben.) IV. „Die Liebe geht allen Neigungen vorher und ist deren Ursache,“ sagt Nugustin. (14. de civ. Dei 7.) Also kann die Liebe an die Stelle aller Hinneigungen gesetzt werden. Danach ist der Stolz also „die Liebe Zum eigenen Vorrange, insoweit von der Liebe verursacht wird die ungeregelte Vermessenheit, andere zu übertreffen; was ja Stolz ist.
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