Vierter Artikel. Die vier Gattungen des Stolzes.
a) Gregor (23. moral. 4.) zählt folgende vier Gattungen des Stolzes auf: 1. wenn jemand das Gute, was er hat, meint von und aus sich selbst zu haben; 2. wenn er wohl glaubt, es sei ihm von oben verliehen, aber auf Grund seiner Verdienste; — 3. wenn der Mensch damit prahlt, zu haben was er nicht hat; — 4. wenn er andere verachtet und danach begehrt, das was er hat für sich allein zu haben. Diese Aufzählung ist unzulässig. Denn: I. Daß jemand meint, er habe das Gute nicht von Gott oder er habe es auf Grund seiner Verdienste, ist Unglaube; nicht also Stolz. II. Prahlen ist eine Gattung in der Lüge; also nicht im Stolze. III. Anderes noch als das Erwähnte gehört zum Stolze; z. B. undankbar erscheinen wollen, nach Hieronymus; sich entschuldigen wegen einer begangenen Sünde, nach Augustin. (14. de civ. Dei 14.) Die Vermessenheit auch, Höheres zu wollen als man kann, ist im höchsten Grade Stolz. IV. Anselm (de similit. 22.) teilt anders ein: „Eine Art Stolz ist im Willen, die andere in der Rede, die dritte in den Werken.“ Bernardus stellt zwölf Stufen des Stolzes auf gemäß den zwölf Stufen der Demut: Neugierde, Leichtsinn, läppische Freude, Prahlerei, Besonderheiten oder Eigenheiten, Anmaßung, Vermessenheit, Verteidigung der begangenen Sünden, geheucheltes Bekennen, Empörung, Willkür, Gewohnheit im Sündigen. Also ist die Aufzählung Gregors unvollständig.
b) Ich antworte, der Stolz schließe ein ungeregeltes Begehren nach dem Vorrange der eigenen Person in sich ein. Nun folgt jeder Vorrang oder jede Auszeichnung einem gewissen Gute, das besessen wird. Ein solches Gut aber unterliegt einer dreifachen Betrachtung. Es kann 1. an sich betrachtet werden. Denn je größer ein solches Gut ist, ein desto größerer Vorrang folgt demselben. Wenn also jemand sich ein größeres Gut zuschreibt wie er hat, so folgt daraus, daß sein Begehren sich richte auf einen Vorrang, der ihm allein zukommen soll, während selbiger thatsächlich ihm nicht zukommt. Und das ist die dritte Gattung Stolz, wenn jemand prahlt, etwas zu haben was er nicht hat. Es kann 2. die Ursache betrachtet werden. Denn hervorragender ist es, wenn jemand ein Gut oder einen Vorzug von sich selber aus hat, als wenn er denselben von einem anderen her besitzt. Meint also jemand, er besitze etwas Gutes von sich aus, während thatsächlich er es von einem anderen her hat; so richtet sich folgegemäß sein Begehren auf seinen Vorrang über das gebührende Maß hinaus. Meint nun jemand in der Weise die Ursache dieses Guten zu sein, daß er selbst es sich erwirkt hat, so ist dies die erste Art Stolz; meint er, es durch seine Kräfte verdient zu haben, so ist dies die zweite. Es kommt 3. die Art und Weise, wie ein Gut besessen wird, in Betracht, insoweit jemand hervorragender erscheint, wenn er einen Vorzug in höherem Grade besitzt wie die übrigen; und also richtet auch in dieser Weise sein Begehren sich auf den eigenen Vorrang in ungeregelter Weise. Danach ist die vierte Gattung Stolz.
c) I. Die wahre Schätzung kann 1. im allgemeinen verdorben werden; und so besteht in dem, was zum Glauben gehört, der Unglaube; — 2. mit Rücksicht auf einen besonderen Fall, auf welchen die freie Wahl sich richtet; und so ist da kein Unglaube. Auch der unkeusche meint ja im einzelnen Falle, es sei für ihn ein Gut, unter den betreffenden, bestimmten Umständen Unkeusches zu thun. Deshalb ist er aber noch nicht ungläubig, was der Fall wäre, wenn er im allgemeinen dafür hielte, Unkeuschheit sei keine Sünde. Sagen also im allgemeinen, es gäbe ein Gut, was nicht von Gott sei oder die Gnade werde den Menschen auf Grund der Verdienste gegeben; das wäre Unglaube. Daß aber jemand im einzelnen Falle, auf Grund des ungeregelten Begehrens nach dem Vorrange der eigenen Person, sich des Guten in ihm so rühmt, als ob dasselbe von ihm käme oder auf Grund seiner Verdienste verliehen worden sei; das ist die Sünde des Stolzes. II. Mit Rücksicht auf den äußeren Akt ist die Prahlerei eine Gattung Lüge, weil jemand sich dessen rühmt, was er nicht hat. Mit Rücksicht auf die ungeregelte innere Herzensneigung ist die Anmaßung odei Prahlerei nach Gregor eine Gattung Stolz. III. Undankbar ist, wer sich zuschreibt, was er von einem anderen her hat; also die ersten beiden Gattungen gehören zur Undankbarkeit. Daß jemand aber sich von der begangenen Sünde entschuldigt, das gehört zur dritten Gattung; denn damit schreibt er sich das Gut zu, nicht schuldig zu sein, was er nicht hat. Und daß jemand vermessen nach dem strebt, was seine Kräfte übersteigt; das scheint zur vierten Gattung zu gehören, wonach einer dem anderen vorgezogen werden will. IV. Jene drei Stufen Anselms sind genommen gemäß dem Fortschreiten einer Sünde; wo zuerst die Auffassung im Herzen ist, dann die äußere Rede und zuletzt das Werk. Bernardus zählt die zwölf Stufen des Stolzes auf nach den zwölf Stufen der Demut. Dem „Senken der Augen“ steht gegenüber die „Neugierde im Umschauen“; dem „geregelten Sprechen“ der „leichte Sinn“, infolgedessen jemand unüberlegt und viel spricht; dem „wenig bereitwilligen zum Lachen“ die „läppische Freude“; dem „Schweigen bis man gefragt wird“ die „Prahlerei“; dem „Anhängen an der gewöhnlichen Regel, die für alle gilt“ die „besonderen Eigenheiten“, wodurch einer für heiliger gehalten werden will wie die anderen; dem „Meinen und Aussprechen, man sei niedriger wie alle“ die „Anmaßung“; dem „Überzeugtsein von der Nutzlosigkeit der eigenen Person“ die „Vermessenheit“, wo einer sich für Größeres hinreichend stark hält als sich gebührt; dem „Bekennen der Sünden“ deren „Verteidigung“; der „Geduld in Schwierigem und Hartem“ das „geheuchelte Bekenntnis“, vermöge dessen einer nicht die Strafen für seine Sünden ertragen will, die er in verstellter Weise bekennt; dem „Gehorsam“ die „Empörung“; dem „freudigen Verzichte auf den eigenen Willen“ die „Willkür“; der „Furcht Gottes“ die „Gewohnheit im Sündigen“, was auf die Verachtung Gottes hinweist. In diesen zwölf Stufen des Stolzes aber sind nicht nur die Gattungen des Stolzes einbegriffen; sondern Vieles, was den Stolz vorbereitet oder Folge von ihm ist, wie oben ähnlich bei der Demut gefagt worden.
