Achter Artikel. Der Stolz ist keine Hauptsünde.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Isidor und Kassian zählen ihn unter die Hauptsünden. II. Der Stolz ist dasselbe wie eitle Ruhmgier; diese aber ist Hauptsünde. III. „Der Stolz erzeugt Neid und ist nie ohne solche Begleitung,“ sagt Augustin (de virginit. 31.). Der Neid aber ist eine Hauptsünde; also um so mehr der Stolz. Auf der anderen Seite steht der Stolz bei Gregor (31. moral. 17.) nicht unter den Hauptsünden.
b) Ich antworte, manche beachteten, der Stolz sei eine besondere Sünde, aus der viele andere nach Weise des Zweckes entspringen, und zählten deshalb den Stolz zu den Hauptsünden. Gregor der Große aber beachtete den allgemeinen Einfluß des Stolzes auf alle andere Sünden und nannte ihn deshalb nicht eine besondere Hauptsünde, sondern den König aller Sünden: „Der König aller Laster, der Stolz, überläßt das Herz, das er kaum in Besitz genommen, allsogleich wie sieben Feldherren den sieben Hauptsünden, aus denen die Menge der Sünden fließt.“
c) I. Damit beantwortet. II. Der Stolz ist die Ursache für die eitle Ruhmgier. Denn der Stolz begehrt in ungeregelter Weise nach dem Vorrange; die eitle Ruhmgier begehrt danach, daß derselbe sich offenbart. III. Daß der Neid vom Stolze erzeugt wird, beweist, daß der Stolz etwas Hauptsächlicheres ist wie eine Hauptsünde.
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