Siebenter Artikel. Der Stolz ist die erste aller Sünden.
a.) Dagegen spricht Folgendes: I. Das Erste im Bereiche einer Seinsart bleibt in allem später daraus sich ergebenden Einzelnen dieser Seinsart. Nicht alle Sünden aber sind zusammen mit dem Stolze oder entspringen aus dem Stolze; denn „Vieles geschieht schlecht, aber nicht aus Stolz.“ (Aug. de nat. et Grat. 29.) Also ist der Stolz nicht die erste Sünde. II. „Der Beginn des Stolzes ist das Abfallen von Gott.“ (Ekkli. 10.) Dieses also ist die erste Sünde. III. Die Ordnung in den Lastern entspricht der Ordnung in den Tugenden. Die Demut aber ist nicht die erste Tugend, sondern der Glaube. Also ist der Stolz nicht das erste Laster. IV. 2. Tim. 3. heißt es: „Die bösen Menschen und die Verführer werden weiter sinken im Schlechten.“ Also kommt der Anfang nicht von der schwersten Sünde, dem Stolze. V. Was nur den Schein und die Vorstellung von etwas erweckt, ist später wie das entsprechende Wirkliche. „Der stolze aber hat den Schein der Stärke und der Kühnheit,“ heißt es 3 Ethic. 7. Also ist die Sünde der Kühnheit eher wie der Stolz. Auf der anderen Seite sagt Ekkli. 10.: „Der Beginn aller Sünde ist der Stolz.“
b) Ich antworte, was an und für sich, seinem Wesen nach also, etwas ist im Bereiche einer Seinsart, das ist das Erste in jener Seinsart; wie das Feuer das Erste ist im Bereiche der Wärme, weil ihm die Wärme seinem Wesen nach zukommt. Die Abkehr aber von Gott bildet vom Stolze das innerste Wesen, von den anderen Sünden nur eine Folge des eigentlichen Wesens. Diese Abkehr aber vollendet das Wesen der Sünde. Also hat der Stolz seinem Wesen nach den Charakter der ersten Sünde und ist das Princip aller Sünden (I., II. Kap. 84, Art. 2), wie früher gesagt worden, als die Ursache der Sünden behandelt wurde von seiten der Abkehr von Gott.
c) I. Jede Art Sünde ist von Natur geeignet, aus dem Stolze zu entstehen; damit ist nicht gesagt, daß nun gerade jede einzelne Sünde im Stolze ihren Ursprung habe. II. „Abfallen von Gott“ ist der erste Teil des Stolzes; nicht aber ist es eine andere Sünde. Denn der Stolz verachtet es an erster Stelle, Gott untergeben zu sein; und als Folge davon verschmäht er es, um Gottes willen der Kreatur sich zu unterwerfen. III. Das Laster ist das Verderben der Tugend. Was aber das Erste ist im Entstehen oder im Erzeugen, das ist das Letzte im Vergehen. Wie also der Glaube die erste Tugend ist, so ist der Unglaube die letzte der Sünden, zu welcher der Mensch schließlich durch die anderen Sünden hindurch gelangt. Deshalb sagt die Glosse zu Ps. 136. (Exidanite), „auf dem Haufen der Sünden throne die Ungläubigkeit;“ und 1. Tim. 1. heißt es: „Manche haben ihrem guten Gewissen widerstanden und schließlich am Glauben Schiffbruch gelitten.“ IV. Der Stolz ist das Princip, nach dem die Schwere aller anderen Sünden bemessen wird, insoweit sie von Gott abwenden. Es sind also vor dem Stolze andere leichtere Sünden da, die aus Unkenntnis oder Schwäche begangen werden. Unter den schwereren Sünden aber ist der Stolz wie die Ursache für ihre Schwere. Und weil was zuerst da ist, am letzten fort geht, sagt die Glosse zu Ps. 18. (Emundabor): „Das heißt von der Sünde des Stolzes: diese ist die letzte bei denen, die zu Gott zurückkehren, und die erste bei denen, die von Gott sich abwenden.“ V. Aristoteles schreibt dies, weil der stolze meint, er könne bei den Menschen höher geachtet werden, wenn er stark oder kühn erscheine.
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