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Works Thomas Aquinas (1225-1274) Summe der Theologie
Secunda Pars Secundae Partis
Quaestio 172

Erster Artikel. Die Gabe der Prophezeiung kommt nicht von der Natur.

a) Dem steht entgegen: I. Gregor (4. dialog. 6.) sagt: „Die Kraft selber der Seelen sieht
aus Grund ihrer Schärfe Manches vorher.“ Und Augustin (12. sup. gen. ad litt. 13.): „Der menschlichen Seele kommt es zu, Zukünftiges vorher
zusehen, soweit sie von den Sinnen losgelöst ist.“ Dies ist aber Prophezeien. II. Die Kenntnis der Seele ist kraftvoller im wachenden Zustande des
Menschen wie im Schlafe. Manche aber sehen auf Grund ihrer Natur
vorher, wenn sie eingeschläfert sind, nach Aristoteles (de somno et vigil. c. 2). III. Der Mensch ist seiner Natur nach vollendeter wie die Tiere. Die
Ameisen aber z. B. erkennen vorher zukünftigen Regen, denn vorher bergen
sie die Getreidekörner in das Loch, welches ihnen als Magazin dient; ebenso
erkennen die Fische vorher den kommenden Sturm, man merkt dies an ihren
Bewegungen, vermittelst deren sie dem Sturme ausgesetzte Orte vermeiden.
Also weit mehr erkennen die Menschen naturgemäßerweise das sie betreffende
Zukünftige vorher. IV. Prov. 29. heißt es: „Wenn die Prophetie fehlen wird, wird das
Volk zerstreut werden.“ Also ist die Prophetie dem Wohle des Volkes
notwendig. Die Natur aber ermangelt nicht des Notwendigen. Auf der anderen Seite heißt es 2. Petr. 1.: „Nicht kraft des menschlichen Willens ist die Prophetie zu uns gekommen; sondern kraft der Einsprechung des heiligen Geistes haben die heiligen Männer Gottes gesprochen.“ Also ist die Gabe der Weissagung nicht von der Natur, sondern vom heiligen Geiste.

b) Ich antworte, die prophetische Kenntnis erstrecke sich 1. auf das Zukünftige in sich, gemäß seinem thatsächlichen Bestände betrachtet; 2. soweit es in seinen Ursachen enthalten ist. Die erstere Art Kenntnis nun ist eigen dem göttlichen Wissen, dem Alles: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft,, seinem thatsächlichen Sein nach gegenwärtig ist. Eine solche prophetische Kenntnis also kann nur auf Offenbarung von feiten Gottes her sich gründen. Soweit jedoch das Zukünftige in seinen Ursachen mit Notwendigkeit enthalten ist, kann es auch kraft natürlicher Kenntnis vom Menschen erkannt werden; wie der Arzt vorhererkennt die Gesundheit oder den mehr oder minder bald eintretenden Tod in den entsprechenden Ursachen, deren Beziehung zu solchen Wirkungen er erfahrungsgemäß festgestellt hat. Und solche Kenntnis kann dem Menschen in doppelter Weise von Natur aus zukommen: 1. daß die Seele es von vornherein in sich trägt, Zukünftiges zu erkennen; danach wollten nach Augustin (12. sup. Gen. ad litt. 13.) einzelne, „die Seele habe eine gewisse Seherkraft in ihrer Natur.“ Dies ist nach der Meinung Platos, der annahm, die Seele erkenne Alles kraft der Teilnahme an den Ideen, jedoch werde diese Kenntnis verdüstert durch die Sinne; in den einen mehr in den anderen weniger, je nach den verschiedenen Stufen der Reinheit des Körpers. Dagegen wirft Augustin jedoch (1. o.) ein: „Warum aber kann dann die Seele nicht immer vorhersehen, da sie es immer will?“ Da indessen jene Meinung bei weitem wahrscheinlicher ist, nach welcher, wie Aristoteles will, die Seele von den Sinnen her ihre Kenntnis erhält (I. Kap. 84), so muß man vielmehr sagen, daß nicht auf diesem erstgenannten Wege, sondern auf dem zweiten, nämlich auf Grund der natürlichen Anlagen, einer guten Verfassung der Einbildungskraft und eines hellen Verständnisses und vermittelst der Erfahrung, Zukünftiges wie das an zweiter Stelle Bezeichnete erkannt werden kann. Dieses Vorherwissen aber ist vom ersten, was auf göttlicher Offenbarung beruht, unterschieden:

a) dadurch daß das letztere auf alles Zukünftige schlechthin sich erstreckt und zwar mit unfehlbarer Gewißheit; —

b) dadurch daß die erste Art prophetischer Kenntnis unverrückbare Wahrheit in sich schließt, während das auf Erfahrung beruhende Vorherwissen auch Falsches zum Gegenstande haben kann; zudem es sich nur auf einzelne, der Zahl nach sehr beschränkte Wirkungen erstreckt, an welche nämlich die menschliche Erfahrung hinanreichen kann. Da nun prophetische Kenntnis das zum Gegenstande hat, was menschliche Erkenntniskraft übersteigt; so kommt die eigentlich so genannte Prophetie nicht von der Natur, sondern aus göttlicher Offenbarung.

c) I. Die Seele, losgelöst von den äußeren Sinnen, wird geeigneter, um den Einfluß der geistigen Substanzen in sich aufzunehmen und auch, um die feinen stofflichen Eindrücke resp. Bewegungen wahrzunehmen, die vom Einflüsse natürlicher Ursachen her in der Einbildungskraft zurückbleiben und welche die mit dem Sichtbaren beschäftigte Seele nicht erfaßt. Deshalb sagt Gregor (l.c.): „Nähert sich die Seele dem Tode, so erkennt sie kraft ihrer natürlichen Schärfe Manches vorher.“ Oder sie erkennt das Zukünftige kraft der Offenbarung seitens der Engel, nicht aber aus eigener Kraft. II. Die Kenntnis der zukünftigen Dinge seitens der schlafenden kommt
von der Offenbarung geistiger Substanzen oder auf Grund einer körperlichen
Ursache. (Kap. 95, Art. 6.) Beides geschieht besser im Traume wie im
wachenden Zustande, weil da die Seele nicht zerstreut ist durch die Beschäftigung mit dem Äußerlichen und somit auch die feinsten Eindrücke wahr
nehmen kann. Mit Rücksicht aber auf die Vollendung des Urteils ist die
Vernunft kraftvoller beim wachenden wie beim schlafenden. III. Die Einbildungskraft der Tiere wird durch die Ursachen, in denen
das Zukünftige enthalten ist und aus denen es mit Notwendigkeit folgt, in
Thätigkeit gesetzt; und danach regeln sich ihre äußeren Bewegungen. Die
Vernunft aber im Menschen wiegt mehr auf als diese natürlichen Eindrücke
in die Einbildungskraft der Tiere; und noch mehr hilft den Menschen die
göttliche Gnade, welche die Propheten erleuchtet. IV. Das prophetische Licht erstreckt sich auf die Leitung menschlicher
Thätigkeiten. Und danach ist zur Leitung der Völker die Prophetie notwendig;
zumal mit Bezug auf die Gottesverehrung, zu welcher die Natur nicht ge
nügt, sondern die Gnade erfordert ist.

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