Vierter Artikel. Das Verhältnis der Prophetie zu der Sittlichkeit.
a) Reinheit der Sitten wird verlangt, um Prophet zu sein. Denn: I. Nach Sap. 7. „macht die Weisheit Gottes Freunde Gottes und Propheten.“ Freundschaft mit Gott aber kann nicht sein ohne die heilig machende Gnade und somit nicht ohne die Tugenden; also auch nicht die Prophetie. II. Geheimnisse macht man nur Freunden offenbar, nach Ioh. 15, 15. Den Propheten aber offenbart Gott feine Geheimnisse. (Amos 3.) III. „Nehmt euch in acht vor falschen Propheten, die zu euch kommen mit Lammfellen umhüllt und innerlich reißende Wölfe sind.“ Jeder aber, der ohne die Gnade ist, scheint innerlich ein reißender Wolf zu sein. Also sind alle solche nichts Anderes wie falsche Propheten; und keiner ist wahrer Prophet außer wenn er gut ist durch die Gnade. IV. „Ist das Weissagen durch Traumgesichte von Gott, so ist es unzulässig, dasselbe zu teil werden zu lassen allen beliebigen und nicht den besten Menschen;“ heißt es zudem de somno et vigil. Die Prophetie aber kommt von Gott. Also nur gute Menschen haben sie. Auf der anderen Seite wird denen, welche nach Matth. ?. fragen: „Herr, haben wir nicht in Deinem Namen prophezeit?“ gesagt werden-. „Niemals kannte ich euch.“ „Gott aber kennt die zu Ihm gehören,“ nach 2. Tim. 2.
b) Ich antworte; die Reinheit der Sitten kann 1. beachtet werden gemäß, ihrer Wurzel, der heiligmachenden Gnade; und 2. nach den inneren Leidenschaften und äußeren Thätigkeiten. Die heiligmachende Gnade wird nun zumal dazu gegeben, daß die Seele durch die heilige Liebe mit Gott verbunden werde. Deshalb sagt Augustin (15. de Trin. 18.): „Wenn nicht einem jeden der heilige Geist verliehen wird, daß Er ihn zu einem Freunde Gottes und des Nächsten macht, so wird er nicht von der Linken zur Rechten hinübergeleitet werden.“ Was also ohne die heilige Liebe sein kann, das kann auch ohne die heiligmachende Gnade bestehen und somit ohne Reinheit der Sitten. Die Prophetie aber kann ohne die heilige Liebe sein. Denn einerseits ist sie eine Thätigkeit der Vernunft und geht somit voran der Thätigkeit des Willens, den die Liebe vollendet; so daß auch Paulus (1. Kor. 12. u. 13.) die Prophetie unter den Dingen aufzählt, welche man ohne Liebe haben kann. Andererseits wird die Prophetie in erster Linie verliehen zum Nutzen der Kirche: „Einem jeden wird das Offenbarwerden des Geistes verliehen zum Nutzen“ (1. Kor. 12.); und nicht zur Einigung des Propheten selber mit Gott. Also kann danach die Prophetie in jemandem vorhanden sein ohne Reinheit der Sitten. Nimmt man jedoch Rücksicht auf die inneren Leidenschaften und äußeren Thätigkeiten, so wird einer durch die Schlechtigkeit gehindert, Prophet zu sein. Denn zur prophetischen Erleuchtung gehört im höchsten Grade die Erhebung des Geistes zur Betrachtung des Göttlichen und eine solche Erhebung wird gehindert durch die Heftigkeit der Leidenschaften. Deshalb wird 4. Kön. 4. von den „Söhnen der Propheten“ gelesen, daß „sie mit Elisäus zusammenwohnten;“ d. h. ein einsames Leben führten, damit weltliche Beschäftigung sie nicht hindere, die Gabe der Weissagung zu empfangen.
c) I. Zuweilen wird die Prophetengabe verliehen sowohl zum Nutzen anderer wie auch zur eigenen Heiligung; solche „macht die Weisheit Gottes zu Freunden Gottes und zu Propheten.“ Andere aber erhalten, wie reine Werkzeuge, diese Gabe nur zum Besten der anderen. Deshalb sagt Hieronymus zu Matth. 7.: „Prophezeien, Wunder wirken und Teufel austreiben ift zuweilen nicht das Verdienst dessen, der es thut; sondern es geschieht entweder auf Grund der Anrufung des Namens Christi oder zur Verdammnis und Überführung der bösen und zum Besten der guten.“ II. Gregor (hom. 27. in Evgl.) erklärt zu Ioh. 15, 15.: „Wenn wir auf Grund dessen was wir gehört haben die erhabenen himmlischen Dinge lieben, erkennen wir bereits das, was wir lieben; denn die Liebe selber ist Kenntnis. Alles also hatte Christus ihnen bekannt gegeben, weil sie von irdischen Begierden befreit in der Glut der höchsten Liebe brannten.“ So aber teilt Gott nicht immer feine Geheimnisse den Propheten mit. III. Reißende Wölfe sind nur jene, die anderen schaden wollen. Denn Chrysostomus (19. in Matth. op. imp.) sagt: „Die Lehrer der katholischen Wahrheit können wohl Sünder sein, Knechte des Fleisches; reißende Wölfe aber werden sie erst genannt, wenn sie die Christen verderben wollen.“ Die Prophetie jedoch wird bezogen auf den Nutzen anderer; und somit sind jene, die schaden wollen, falsche Propheten. IV. Nicht die schlechthin besten erhalten die göttlichen Gaben; sondern jene, die Gott im Verhältnisse zu einer bestimmten Gabe als die besten betrachtet.
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