Fünfter Artikel. Nicht ganz und gar getrennt vorn Körper war die Seele Pauli in jener Verzückung.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Nach 2. Kor. 5. „pilgern wir, so lange wir im Körper sind, fern von Gott.“ Paulus aber pilgerte nicht in jenem Zustande fern von Gott, da er Gottes Wesen schaute. II. Ein Seelenvermögen kann nicht über jene Wesenheit erhoben werden, in der es seine Wurzel hat. Die Vernunft aber, ein Seelenvermögen, ward beim Schauen des göttlichen Wesens erhoben über alles Körperliche und Sinnliche und vom selben abgezogen. Also war um so mehr die Wesenheit der Seele getrennt vom Körper. III. Mußte die Vernunft absehen von den sinnlichen Thätigkeiten, so mußte sie es noch mehr von denen der Nährseele, die ja noch weit stofflicher sind. Hören die letzteren aber auf, so bleibt die Seele überhaupt nicht mehr verbunden mit dem Körper. Auf der anderen Seite sagt Augustin (ep. 147): „Es ist nicht unglaublich, daß einzelnen Heiligen, obgleich sie noch nicht in der Weise gestorben waren, daß deren Körper hätten begraben werden können, diese Höhe des Schauens bewilligt worden sei;“ daß sie Gottes Wesen gesehen haben. Also brauchte bei der Verzückung Pauli die Seele nicht vom Körper getrennt gewesen zu sein.
b) Ich antworte, durch göttliche Kraft werde bei der Verzückung der Mensch erhoben von dem aus, was gemäß der Natur ist, zu dem hin, was über die Natur ist. Hier bleibt also zu erwägen, was „gemäß der Natur“ für den Menschen sei und was „über die Natur hinaus“ beim Verzücktwerden zu geschehen habe. Auf Grund dessen nun daß die Seele mit dem Körper als dessen natürliche Wesensform verbunden ist, folgt für die Seele die natürliche Beziehung dazu, daß sie sich zu den Phantasiebildern wende, wenn sie vernünftig erkennen will. Diese natürliche Beziehung wird durch die Verzückung nicht von der Seele hinweggenommen, da der Zustand derselben keine Änderung erleidet. Während aber diese Beziehung dem Zustande nach die gleiche bleibt, wird von der Seele die thatsächliche Hinwendung zu den Phantasiebildern weggenommen; damit nicht dadurch ihre Erhebung zu dem gehindert werde, was alle Phantasiebilder übersteigt. Und sonach war es bei der Verzückung des heiligen Paulus nicht erforderlich, daß die Seele nicht mehr mit dem Körper als dessen Wesensform verbunden bleibe, was eben nur den dauernden Zustand der Beziehung der Vernunft zu den Phantasiebildern anzeigt; sondern es war erforderlich, daß die Vernunft abgezogen werde von der thatsächlichen Erfassung der Phantasiebilder und Sinneseindrücke.
c) I. Paulus pilgerte in jener Verzückung fern vom Herrn mit Rücksicht auf den Zustand eines Erdenpilgers; wenn er auch thatsächlich und vorübergehend Gott schaute. II. Kraft der göttlichen, nicht kraft einer natürlichen Macht kann die Vernunft als Seelenvermögen erhoben werden über das dem Wesen der Seele zukömnlliche Maß; wie ja auch ein Körper durch höhere Kraft emporgetragen wird über den ihm von Natur gebührenden Ort. III. Die Kräfte der Nährseele wirken nicht auf Grund einer Absicht in der Seele, sondern nach Weise der Natur; und somit wird für die Verzückung ein Absehen von ihrer Thätigkeit nicht gefordert, wie dies bei den Sinneskräften der Fall ist, deren Thätigkeit die Spannkraft der vernünftigem Thätigkeit vermindert.
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